
Die Wirklichkeit lässt keine Teilung des Planck'schen Wirkungsquantums h zu. Energieabgaben oder Energieaufnahmen mit halben oder dezimalen Werten finden nicht statt. Unter dem Bereich des Wertes 1 h geschieht nichts. Es bedeutet, dass das Sein nicht beliebig teilbar ist. Ebenso muss es bedeuten, dass das Sein der physikalischen Welt nicht beliebig "unendlich" groß werden kann dadurch, dass es sich gleitend ausdehnt. Immer ist eine bestimmte und konstante Größe mit entscheidend: h.
In der Formel E=h mal v ist v die Schwingungszahl. Hier ist eine der großen Verknüpfungsstellen. Denn die Schwingungszahl eines Körpers ist eine zusammengesetzte Größe. Schwingungen müssen in Raum und Zeit stattfinden. Somit ist im Quantengesetz eine Größe erfasst, in deren Struktur Raum, Zeit und Materie mit enthalten sind. h ist eine vierdimensionale Konstante. Die Ermittlung der physikalischen Gesetze muss vom physischen Sein ausgehen, vom physisch Möglichen, nicht von der Kontinuität, sondern von der das reale Geschehen bestimmenden Diskontinuität, von einem ganz konkreten Quant.
Kaum war das erkannt, da erfolgte 1905 eine zweite Erschütterung, nämlich die Erkenntnis Einsteins, dass das Licht beides ist: Welle und Korpuskel, kleinstes Masseteilchen, und zwar zugleich. Die Gleichzeitigkeit des Seins war aber nach der alten Denkart sowohl unvorstellbar wie undenkbar. Jetzt war diese verbundene Gleichzeitigkeit zwar nicht eigentlich vorstellbar, aber: Sie war denknotwendig, fassbar und in der Anwendung, in der Technik beweisbar.
Somit lautet das Ergebnis: Nie ist das dem Erscheinen zugrunde liegende nur Welle oder nur Korpuskel - so ist "nur" die dem Menschen unmittelbar erfassbare Erscheinung. In der Wirklichkeit existiert beides in einem be-stimmten Verhältnis als Einheit und zugleich.
Haben wir anfangs vom Endlichkeitsfaktor gesprochen, dass das Seiende immer der Endlichkeit, dem Quantengesetz ganz verhaftet ist, so zeigt das Welle-Korpuskel-Funktionsgesetz, dass das Sein zugleich mit bedingt ist durch einen Unendlichkeitsfaktor. Die Unendlichkeitskomponente ist nicht ausgeschlossen, sie ist nur eben der endlichen eingeschlossen, oder besser: komplementär. Hier könnte wieder das Bündnis mit der Poesie einsetzen. Einstein sagt: "Ohne das Irrationale wüsste der Wissenschaftler weder wohin er gehen noch was er suchen sollte." Musil schreibt: "Der Sinn der Poesie erwächst aus einer Durchdringung rationaler und irrationaler Elemente." Wolfgang Pauli schreibt: "Gewarnt durch den Misserfolg aller verfrühten Einheitsbestrebungen in der Geistesgeschichte will ich es nicht wagen, über die Zukunft Voraussagen zu machen.
Keine Synthese
Ich halte aber die Zielvorstellung einer Überwindung der Gegensätze, zu der auch eine sowohl das rationale Verstehen wie das mystische Einheitserlebnis umfassende Synthese gehört, für den ausgesprochenen oder unausgesprochenen Mythos unserer eigenen, heutigen Zeit." Ich fürchte, Pauli hofft umsonst. Denn die Physik hat ihre Methodik.
Es geht nicht um Synthese, eine Synthese von Entweder-Oder, sondern um ein "Sich-Ergänzen", um ein Sowohl-als-auch, das bisher allein die Poesie verteidigt hat. Niels Bohr sagt: "Wollen wir zu dem Unbekannten vordringen, sind wir gezwungen, die rationale Sprache der klassischen Physik aufzugeben und uns der Poesie zu nähern."
Wie stehen eigentlich die Dichter und Physiker zu dem Spannungsverhältnis zwischen endlich und unendlich? Früher haben die Dichter fast immer das Unendliche gefordert. Heute fordern viele das Endliche, zum Beispiel Arno Schmidt:"Wir brauchen Dichter, die sich der Unendlichkeit verschließen: So wie sie uns verschlossen ist! Die den Begriff der Universalität ablehnen, weil hinter ihm eine verführerisch-falsche Arbeitshypothese steht: wir wollen Lücken nicht nur zugeben, sondern einrichten."
Die Physiker, früher nur das Endliche vor Augen, sprechen dagegen jetzt vom Unendlichen. "Es ist die Ganzheit, die real ist", schreibt der David Bohm 1985 in seiner Arbeit: "Fragmentierung und Ganzheit". "Die Fragmentierung ist nur eine Antwort dieses Ganzen auf das Handeln des Menschen. Durch Denken zerlegen wir die Welt in Teile, wir analysieren sie." Wie kann man die Fragmentierung beenden? Wenn unser ganzes Denken von der Fragmentierung ergriffen ist? Gibt es einen Ausweg? "Wir müssen die formgebende Ursache der Fragmentierung erfassen!", schreibt Bohm.
Physiker-Traum
Träumt hier Bohm einen Physiker-Traum? Poesie und Physik sollten nicht die Rollen tauschen.
In der klassischen Mechanik ist das Vakuum der vollkommen leere Raum. Die Quantenmechanik erlaubt eine solche Definition nicht mehr. Wegen der Heisenberg'schen Unschärferelation gibt es sogar im Vakuum Fluktuationen. Das nennen wir Nullpunkt- oder Vakuumfluktuation, und es wird ernsthaft die Frage gestellt: ist das Universum nicht mehr und nicht weniger als eine jener Vakuumfluktuationen, die es zulassen, dass Anhäufungen von Teilchen aus dem Nichts hervorbrechen, eine Weile existieren und dann wieder vom Vakuum verschluckt werden? Und ein Universum, das im Feuerball eines Urknalls geboren wird, sich eine Weile ausdehnt, um dann wieder zu einem Feuerball zu schrumpfen und zu verschwinden, ist eine Vakuumfluktuation.
Im Vakuum und in der mikroskopischen Welt ist alles reversibel. In der realen Welt ist alles Geschehen grundsätzlich verbunden mit irreversiblen Prozessen, wie etwa Reibung und Wärmeleitung.
Genauso müssen wir uns frei machen von dem Gedanken, dass aus einem Vakuum Literatur kommen kann. Es muss da etwas brodeln, da muss etwas gesehen werden. Und das geht nicht wie eine rein intellektuelle Maschine.
Dreidimensional
Alle Emotion ist abhängig von wirklicher, dreidimensionaler Anschauung oder von ebensolchem Klang. Sie ist physisch. Sie ist eine besondere Art von Erregung, nämlich eine, die sich eine Form schaffen will. Der Mystiker kann im Unsagbaren verharren; aber die Gefühle des Dichters verlangen nach einer exakten und dauerhaften Gestaltung in der realen Welt. Es entstehen im Geiste Formen und Rhythmen, unerwartete Beziehungen. Wir ahnen, dass wir irgendein Ganzes in uns verschließen, von dem uns die gewohnten Umstände nur Fragmente abverlangen. Ja, wir sind fragmentiert, aber unser Empfinden verlangt nach Dauer. Wir beobachten, wie die ursprüngliche Ordnungslosigkeit des Bewusstseins Anfänge von Ordnung hervorbringt, wie tausend mögliche Vollkommenheiten im Unvollkommenen erwachen.
Ist das nicht gerade der eigentümliche Charakter unseres Nervensystems? Die Herausbildung einer Erscheinung anstelle der unfassbaren Wirklichkeit? Dieser geheimnisvolle Apparat des Lebens hat die Aufgabe, Verschiedenes zu einer Einheit zusammenzufügen, Abwesendes gegenwärtig zu machen, etwas zu schaffen, dessen endliches Ziel es ist, in einem Menschen Un-endliches - nie ihren Abschluss findende Entfaltungen - hervorzurufen. Eben dadurch kann auch der Physiker, gemeinsam mit dem Dichter, mehr oder weniger bewusst, einen Lobgesang anstimmen: Physik und Poesie als Halleluja auf das Seiende. Langsam entstehen dann zur äußeren Lage kompensatorisch innere Bilder, Fantasien, Ideen, die eine Ergänzung der Gegensatzpaare als möglich aufzeigen und welche, die Bilder wieder in das Gedächtnis zurückrufen, die ihm die Formeln erstellen ließen.
"Dichten heißt versuchen, bis die eine Kombination geglückt ist, welche die Notwendigkeit einer mathematischen Formel hat", sagt Valéry und: