Andrea Leitner: "Familienpolitik ist einfach nicht Frauenpolitik, weil Familie optimalerweise auch Männer angehen sollte. Diese Tatsache hat die Politik bisher eher vernachlässigt."
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"Gute Frauenpolitik erkennt man am Geschrei der Männer," meinte einst die Schriftstellerin Luise F. Pusch. "Wieweit Frau Bures die Männer zum Schreien bringen kann, wird sich zeigen," gibt sich Andrea Leitner abwartend. Von der neuen Regierung wünscht sie sich als Frau und Wissenschafterin, dass sie "Benachteiligungen stärker sichtbar" mache. Um Einkommensunterschiede zu verringern, müsse "gezielte Kollektivvertragspolitik" betrieben werden.

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dieStandard.at: Die Schriftstellerin und Linguistin Luise F. Pusch meinte "Gute Frauenpolitik erkennt man am Geschrei der Männer." Wie laut ist es in Österreich in den vergangenen vier Jahren gewesen?

Leitner: Nicht sehr laut. Die Benachteiligungen von Frauen sind in den letzten Jahren weniger Thema gewesen. Frauenförderung ist teilweise durch ein wirkungsloses Gender Mainstreaming ersetzt worden. Die Benachteiligungen sind aber nach wie vor vorhanden. Sie sind vielleicht subtiler und weniger stark sichtbar, aber eben trotzdem noch da. Auch wenn Frauen eine immer bessere Bildung aufweisen, sind die Einkommensunterschiede groß.

dieStandard.at: Wie bewerten Sie die unter der vergangenen Koalition geschaffenen Instrumente und Maßnahmen institutioneller Gleichstellungspolitik?

Leitner: Die Abschaffung eines selbstständigen Frauenministeriums war sicher mit Nachteilen verbunden. Dies hatte nicht nur eine bedenkliche Signalwirkung, sondern damit ging auch eine verantwortliche Stelle zur Kommentierung und Kontrolle der Politik hinsichtlich Gleichstellung verloren. Die Gender Mainstreaming Beauftragten in den Ministerien können dies nicht ersetzen. Auch was das Kinderbetreuungsgeld betrifft, scheint es den Effekt zu haben, dass die Frauen länger ihre Berufstätigkeit unterbrechen.

dieStandard.at: Sind Fraueninteressen automatisch Familieninteressen?

Leitner: Nein. Aber familiäre Rollenverteilungen bestimmen die Chancen von Frauen im Erwerbsleben und oft schon in der Ausbildungswahl ganz wesentlich mit. Familienpolitik ist einfach nicht Frauenpolitik, weil Familie optimalerweise auch Männer angehen sollte. Diese Tatsache hat die Politik bisher eher vernachlässigt. Wenn man Familienpolitik macht, geht es vorrangig um das Wohl der Kinder. Da kommen Frauenanliegen oft zu kurz.

dieStandard.at: Wie sollte die neue Regierung Frauenpolitik machen?

Leitner: Es sollte unter anderem darum gehen, Benachteiligungen stärker sichtbar zu machen. Benachteiligungen haben ihre Ursachen in vielen Bereichen und so müssen Ansätze zur Gleichstellung auch unterschiedliche Ebenen gleichzeitig treffen. Formal ist ja in vielen Bereichen Chancengleichheit gegeben, die subtilen Benachteiligungen und die Verfestigung von Geschlechterrollen werden dadurch oft nicht mehr wahrgenommen. Die Akzeptanz der Frauenpolitik leidet darunter.

dieStandard.at: Gibt es Länder, von denen man sich etwas abschauen könnte?

Leitner: Als Beispiel könnten die nordeuropäischen Länder dienen. Die verfolgen eine viel konsistentere Politik in Frauenbelangen. Die Rolle der Frauen als Erwerbstätige wird in den unterschiedlichsten Bereichen gefördert. Dies betrifft auch das Schulsystem, das in diesen Ländern eine qualitativ gute Nachmittagsbetreuung garantiert. Auch die Kinderbetreuungsangebote sind qualitativ viel besser. Dort lässt man seine Kleinkinder gern.

dieStandard.at: Woran liegt es, dass das System dort besser ist?

Leitner: In den nordischen Ländern sind Frauen am Arbeitsmarkt ein wichtiger Faktor. Die Erwerbstätigkeit von Frauen wurde auch im Sinn einer Nutzung des vorhandenen produktiven Potentials unterstützt. Man hat sich in den 70er Jahren eben nicht für die Politik entschieden, Gastarbeiter als zusätzliche Arbeitskräfte zu holen, sondern auf die Frauen gesetzt. In Österreich war das - wie wir wissen - anders. Aber es ist schwierig, alte Pfade zu verlassen; in der Wissenschaft nennt man das Pfadabhängigkeit. Auch die neue Regierung wird ein Problem damit haben, in den vergangenen Jahren getätigte Maßnahmen aufzuheben.

dieStandard.at: Welche konkreten Maßnahmen wünschen Sie sich von der neuen Regierung?

Leitner: Ein Ziel ist die Verringerung der Einkommensunterschiede von Frauen und Männern, was natürlich nicht einfach ist. Man könnte dafür gezielte Kollektivvertragspolitik betreiben oder darauf achten, dass Frauen in der Familienbetreuung mehr Unterstützung vom Staat oder vom Partner bekommen. Teilzeitkarenz muss wieder möglich sein, und zwar abhängig von den Wochenstunden und nicht vom Verdienst. Es sind auch ökonomische Argumente, warum sich Männer weniger stark an der Familienarbeit beteiligen. Die Flexibilisierung der Kindergeldregelung ist insofern positiv, könnte aber noch wesentlich weiter gehen.

dieStandard.at: Alles?

Leitner: Der Ausbau und die Verbesserung der Kinderbetreuungseinrichtungen ist ein wichtiges Thema. Nicht nur der erfragte Bedarf ist hier ausschlaggebend. Diese Erhebungen stellen nämlich die Frage, ob man seine Kinder bei der derzeitigen Qualität in eine Einrichtung geben möchte. Die institutionelle Betreuung wird dabei oft deutlich schlechter bewertet als eine Betreuung durch die Mutter und dies ist qualitätsabhängig. Warum sollten KindergartenpädagogInnen eine geringere Ausbildung als VolksschullehrerInnen haben? Hier muss man einfach mehr Geld in die Hand nehmen, auch in Hinsicht darauf, dass bereits in diesem Kleinkindalter der Grundstein für Bildungschancen gelegt wird.

In der Bildung sind die Benachteiligungen für Frauen auch immer noch sehr stark. Viel zu wenige Mädchen und Frauen werden dazu motiviert, in technische und naturwissenschaftliche Bereiche zu gehen. Hier muss auch eine Sensibilisierung der Lehrenden erfolgen.

dieStandard.at: Kann die SPÖ einen positiven Aspekt in die Frauenpolitik bringen?

Leitner: Im Wahlkampf hat man viel zu diesem Thema versprochen, während der Koalitionsverhandlungen kam es aber so gut wie gar nicht mehr vor und die Formulierungen im Regierungsprogramm können unterschiedlich ausgelegt werden. Ich hoffe aber trotzdem auf positive Auswirkungen.

dieStandard.at: Was halten Sie von der Besetzung des Frauenministeriums mit Doris Bures?

Leitner: Eine Frau Dohnal wird nicht wiederkommen. Ich freue mich aber über ein neues Gesicht in der Frauenpolitik. Wieweit Frau Bures eine erfolgreiche Frauenpolitik umsetzen kann, wird auch davon abhängen, welche Finanzressourcen dafür zur Verfügung stehen und wie die Zusammenarbeit mit den anderen Ministerien verläuft. Wieweit sie nach dem Vorbild einer Frau Dohnal die Männer zum Schreien bringen kann, wird sich zeigen.

(Manuela Honsig-Erlenburg, derStandard.at/ die Standard.at, 16.1.2007)