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Als Fluss, auf den die Gezeiten einwirken, hat die Themse so ihre Tücken, die Schiffer, die darauf fahren, sehen nun Gefahr dadurch, dass die Lehrzeit für ihren Beruf verringert wurde.

Foto: Reuters/ KIERAN DOHERTY
Last- oder Personenschiffe auf der Themse zu steuern braucht wegen der Tücken des Flusses Erfahrung. Nun sehen die Schiffer Gefahr, weil die Regierung die Vorgaben für eine Lizenz gelockert haben. Man befürchtet einen Zustrom von Billigarbeitern - Sebastian Borger aus London

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Links liegt das neugotische Parlamentsgebäude mit Big Ben, rechts funkeln die Lichter am Riesenrad London Eye. Doch Jeff Powell hat nur Augen für die Westminster-Brücke vor ihm. Einmal schweift der Blick des 45-Jährigen nach rechts, wo an der Uferbefestigung der Themse steinerne Löwen hängen. "Wenn die Löwen Wasser trinken, komme ich da nicht mehr durch." Doch die braune Brühe steht den Löwen erst kurz unterm Kinn.

Behutsam dreht Kapitän Powell am Steuerrad, mal zehn Zentimeter rechts, mal fünf Zentimeter links. Behäbig gleitet sein Schlepper "Mersina" unter der Brücke durch, drei vollbeladene Lastkähne im Schlepptau. Das Dach des Führerhauses hat kaum mehr als 40 Zentimeter Abstand vom Brückenbogen. "Das war die niedrigste Brücke, jetzt kann eigentlich nicht mehr viel schiefgehen."

Auf jedem der Lastkähne haben Powell und seine fünf Mann Besatzung 30 Container mit Londoner Haushaltsmüll geladen, rund 350 Tonnen pro Kahn. Vom Terminal in Battersea geht es zum Heimatkai der Mersina in Charlton, gut 20 Kilometer flussabwärts. Normalerweise nimmt die Metropole keine Notiz von der ebenso unauffälligen wie eminent wichtigen Arbeit des Mersina-Kapitäns und seiner gut 600 Flussschiffer-Kollegen. Dieser Tage ist das anders.

Weniger Lehrzeit

Zu Jahresbeginn hat die britische Regierung eine neue Lizenz für alle Binnenschiffer eingeführt. Verloren ging dabei eine alte Tradition: Aufgeschreckt von den wilden Zuständen auf dem tückischen Gezeitenfluss, erließ das Parlament 1555 ein Dekret, das Themse-Schiffern eine mindestens fünfjährige Lehrzeit auferlegte. In Zukunft müssen die Schiffer-Lehrlinge nur noch zweieinhalb Jahre dienen, der Zugang für Auswärtige wird erleichtert.

Dagegen machen die Themse-Schiffer mobil. Auf Antrag des Oppositionsführers David Cameron debattierte am Mittwoch sogar das Parlament über die Neuerung. Die Regierung verweist auf vergleichbare Ausbildungsberufe; außerdem sorge eine neu eingeführte Prüfung alle fünf Jahre dafür, dass die Binnenschiffer ihre Kenntnisse auf den neuesten Stand bringen müssten. Papperlapapp, sagt dazu Alex Hickman, der Sprecher der Themse-Schiffer, die einen Zustrom von Billigarbeitern aus dem Ausland fürchten: "Wir machen uns Sorge um die Sicherheit auf dem Fluss. Das geht die Öffentlichkeit an."

Sorge um Arbeitsplätze Oder geht es mehr um die Sicherheit der wenigen verbliebenen Arbeitsplätze? Im Gespräch mit Powell und seinen Kollegen ist viel von der Vergangenheit und von Traditionen die Rede. In der Metropole des Turbo-Kapitalismus stellt die Flussschifffahrt eine der letzten Nischen dar. Zu den mehr als 600 Schiffern zählen nur drei Frauen, Angehörige ethnischer Minderheiten, die inzwischen gut ein Viertel der Londoner Bevölkerung ausmachen, sucht man vergeblich.

Und doch hat sich die Arbeitswelt auf der Themse stetig verändert. Die längst versunkene Welt der Themse-Fährmänner am Ende des 18. Jahrhunderts hat die Autorin Kate Grenville in ihrem jüngst erschienenen Roman "The secret river” ("Der verborgene Fluss", C. Bertelsmann-Verlag) packend beschrieben. Im Vergleich dazu ist nur eines gleich geblieben, glaubt Powell: "Der Wind und die Gezeiten, vor denen muss man sich einen gehörigen Respekt bewahren." (Sebastian Borger, DER STANDARC Printausgabe 11.1.2007)