"The Crane Wife" (EMI)

Foto: EMI

The Decemberists

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Die Welt als solche ist ja schon wunderlich genug. Man denke nur an Mysterien wie Flachbildschirmfernseher, Uhren, die sich bei Überschreiten von Zeitzonen selbst verstellen, Einräder und ähnliches mehr. Diese Aufzählung ließe sich noch Richtung Unendlichkeit fortsetzen, das bringt natürlich nichts. Eine Seltsamkeit sei hier aber als thematisch konnotiert noch erwähnt. Jener Jammerlappen, den man gemeinhin Musikindustrie heißt, scheint immer noch Anfängerprobleme mit dem Umstand und den Anforderungen an eine(r) vernetzte(n) und globalisierte(n) Welt zu haben. Konkret: Anstatt ein Produkt kanonisiert und den eigenen Möglichkeiten entsprechend weltweit zu veröffentlichen - meinetwegen ohne die Randbezirke von Kabul, Bagdad und Werchojansk zu berücksichtigen -, versorgt man zuerst diesen Markt, dann jenen - und irgendwann vielleicht auch den österreichischen.

The Crane Wife, das neue Album der Decemberists, um die es hier gehen soll, ist ein Paradebeispiel dafür: In den USA ist das vierte Werk dieser Band aus Portland, Oregon, bereits im vergangenen Oktober erschienen. So lange ist es hier zu Lande in einschlägigen Fachgeschäften erhältlich und wird von der Fangemeinde aus den Regalen geräumt. Es verhält sich nämlich so, dass die Decemberists spätestens seit ihrem Vorgängeralbum Picaresque und dem darauf befindlichen Hit We Both Go Down Together, der seine Ohrwurmqualitäten durch Dauerpräsenz auch im heimischen Jugendradio vielfach untermauerte, tonnenschwerstens angesagt sind.

Eben jene Qualität führte nun nicht nur dazu, dass The Crane Wife das erste Album des Quintetts ist, das bei einer großen Plattenfirma erscheint. Sie ist es auch, die die Band in den USA in wochenlang im Voraus ausverkauften Häusern spielen lässt und die einem Trend folgt, den seit dem Auftauchen von Arcade Fire und deren Album Funeral auch noch der bescheuerteste Entscheider einer Marketingabteilung mitbekommen hätte müssen. Hätte! Müssen!

Mit über drei Monaten Verspätung, in denen das Album als Import also schon zu haben war und während denen jeder transatlantische Online-Anbieter es zu Fuß ausliefern hätte können, kommt das Werk nun auch bei uns "regulär" in den Handel. Das um den romantischen Exzentriker Colin Meloy formierte Grüppchen verfeinert darauf nicht nur alte Stärken, es versucht sich auf seine Art auch an einer Weiterführung seines einnehmenden Folk-Rock-Pop. Das führt unter anderem zu dem am interessantesten scheiternden Lied der letzten Zeit.

Die epische Trilogie The Island: Come And See -The Landlord's Daughter - You'll Not Feel The Drowning dauert nicht nur über zwölf Minuten. Der Versuch, die filigrane, aber doch robuste Ästhetik ins Progressiv-Rockistische zu überführen, geht nämlich ordentlich daneben. Wirkt die erste Hälfte noch einigermaßen souverän, verlieren sich Meloy und Co danach auf Pfaden, auf denen schon das Electric Light Orchestra in die Sackgasse gelaufen ist - abzüglich deren damals gerade hoch in Mode gekommenen UFO- und Laser-Geilheit. Dass die Decemberists dazu noch eine Orgel auffahren, die klingt, als hätte man Jon Lord aus dem Museum gestohlen und entstaubt an seinen alten Arbeitsplatz zurückversetzt, fährt den Song endgültig gegen die Wand. Nicht jeder Mut wird auch belohnt.

Den Rest ihrer Wunderwelt voller nostalgischer Alte-Welt-Bilder über Bürgerkriege, Babymörder, Seefahrer, Soldaten und andere aus dem 19. Jahrhundert ins Jetzt transformierte Fantasien vertont die Band mit prachtvollen und dabei ökonomisch bleibenden Songs wie The Perfect Crime #2 - der poppigste Hit des Albums - oder auch dem herzblutenden Rache-Song O Valencia! Der zart von den eigen Sujets angeekelt wirkende und leicht kapriziöse Gesang Meloys verleiht diesen Stücken dazu jene Magie, die sie letztlich so verführerisch klingen lässt. Musik für Freunde von Edgar Allen Poe, Ambrose Bierce und Jonathan Swift - kann die schlecht sein? Sie kann nicht. (Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.1.2007)