Wien - Mit den Vorhaben aus dem Koalitionsprogramm von SPÖ und ÖVP werden die österreichischen Verpflichtungen im Kyoto-Klimaprotokoll nicht einlösbar sein, sagt der auch am Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) tätige Grazer Ökonom Stefan Schleicher. Derzeit emittiere Österreich gegenüber dem Kyoto-Ziel um rund ein Drittel zuviel. Auf den angepeilten Level zu kommen, sei "so wie es im Regierungsprogramm drinnensteht sicher nicht möglich", meinte Schleicher.

Zwar ist die Klimabilanz für das vergangene Jahr 2005 noch nicht offiziell, es sei aber davon auszugehen, dass die Ausstöße weiter gestiegen seien, so Schleicher. Derzeit liege Österreich jährlich rund 20 bis 30 Mio. Tonnen über dem Kyoto-Zielpfad. "Mit großer Wahrscheinlichkeit liegt 2005 über 2004 und ich vermute, dass 2005 das Rekordjahr bei den Emissionen sein wird. Wir haben wahrscheinlich noch nie so viel emittiert wie im Vorjahr."

"Sehr starke Aussage"

Legt man diese Annahme zu Grunde, sei die nötige Einsparung für das Kyotoprotokoll enorm: Im Durchrechnungszeitraum 2008 bis 2012 müsse Österreich durchschnittlich mehr als ein Drittel der Treibhausgasemissionen einsparen. "Wenn das Regierungsprogramm angesichts dieser Diskrepanz sagt, wir werden vertragstreu sein, ist das eine sehr sehr starke Aussage. Die Kyoto-Verpflichtung beginnt schließlich in elf Monaten."

Dazu fehlen aber konkrete Pläne im Regierungsübereinkommen, kritisiert Schleicher: "Darin findet sich etwa keine Aussage darüber, in welchem Ausmaß Österreich die internationalen Instrumente zur Erreichung des Kyotoziels heranzieht." Dieser Punkt ist aber jener, der langfristig massive Kosten verursachen wird, denn was nicht mit Maßnahmen im Inland eingespart wird, muss über den Emissionshandel oder über die so genannten Joint Implementation/Clean Development-Mechanismen (JI/CDM) zugekauft werden.

Zukauf-Kosten

"Wieviel der Zukauf kostet, ist sicher noch offen, aber es geht ungefähr um ein Volumen von insgesamt 100 bis 150 Mio. Tonnen. Wenn der Zertifikatpreis am Emissionsmarkt zehn Euro pro Tonne ist, sind das eins bis 1,5 Mrd. Euro", schätzt der Ökonom. Österreich müsse sich daher eigentlich jetzt schon Emissionsrechte sichern, im Regierungsprogramm fehle aber jegliche Zahl dazu. "Man könnte sagen: Das Spiel hat begonnen, aber nicht einmal der Schiedsrichter kennt noch die Regel."

Im Bereich Joint Implementation/Clean Development waren in der bisherigen Klimastrategie pro Jahr Zukäufe von rund sieben Millionen Tonnen vorgesehen, jetzt sei die Rede von einer Steigerung auf rund 9 Millionen Tonnen, was angesichts des Fehlbetrages von 25 Mio. Tonnen viel zu gering sei. Allerdings sei der Markt derzeit schon fast ausgereizt.

Zwar lasse sich die Bilanz mit Maßnahmen im Inland eventuell über "Crash-Programme" reduzieren, der Spielraum dafür sei aber gering, so Schleicher. Etwa im Bereich Wohnhaussanierung, bei der sich das Problem stellt, dass diese sich nicht schnell genug umsetzen lasse. Im Programm finde sich auch keine konkrete Sanierungsrate. Für eine CO2-Wirksamkeit brauche man zumindest eine Verfünffachung der derzeitigen Sanierungsaktivitäten.

Auch reichten die derzeit im Regierungsprogramm vorgesehen Erhöhungen bei den Treibstoffpreisen nicht zur Reduktion des Tanktourismus: "In Summe sind die Preissteigerungen in Deutschland stärker, deswegen wird sich der Tanktourismus sogar noch verschärfen."

EU-Druck

Früher als die allgemeinen Kyoto-Verpflichtungen würden zudem die EU-Verpflichtungen für die Emissionsreduktionen schlagend: "Der Druck seitens der EU zur Vertragserfüllung kommt wesentlich früher und ist wesentlich stärker zu spüren", etwa in der Erstellung der Nationalen Allokationspläne (NAP) für die zweite Handelsphase.

Sehr konkret seien einige Aussagen des Regierungsprogramms was den Verkehr anbelangt, so Schleicher. Positiv bewertet er vorgesehene Querfinanzierung von der Straße zur Schiene und das Österreichticket. In der Energiepolitik sei "die sichtbare Linie eher defensiv", in vielen Bereichen fehle eine konkrete Ansagen bzw. sei unklar, wie die Ziele realisiert werden sollen: Dass etwa der Biomasse-Einsatz bis 2010 verdoppelt werden sollen, ist für Schleicher unrealistisch, da man bei den bestehenden Anlagen schon Rohstoffe aus dem Ausland importieren müsse. Ähnliches gelte auch für die alternativen Treibstoffe, die laut Koalitionsübereinkunft auf zehn Prozent bis 2010 erhöht werden sollen. "Die eigentlich vorgesehene zusätzliche Wertschöpfung im Inland entfällt dadurch." Auch habe die wichtige Technologie der Kraft-Wärme-Kopplung nicht die gebührende Priorität bekommen.

Greenpeace-Kritik

Auch die Umweltschutzorganisation Greenpeace sieht das Regierungsübereinkommen in punkto Klimapolitik kritisch. "Mit diesem Papier hat die Bundesregierung den Bruch des Kyoto-Protokolls endgültig festgeschrieben", meinte Klimaexperte Erwin Mayer in einer Aussendung. Er vermisst konkrete Maßnahmen zur notwendigen CO2-Einsparungen bis zum Ende des Kyoto-Protokolls. "Seitenweise leere Floskeln werden nicht dazu beitragen, Österreichs CO2-Emissionen von 1990 bis 2010 um 13 Prozent zu verringern", so Mayer. Österreich könne sich maximal von der Klimaschutzverpflichtung freikaufen, so Mayer abschließend.

Kritik der Tiroler Grünen

Ähnliche Kritik kam von den Tiroler Grünen am Donnerstag bei einer Pressekonferenz in Innsbruck. Der Klimawandel sei in vollem Gange, und Umweltflüchtlinge würden in Zukunft zum weltweit größten Problem werden. Trotzdem befinde sich dieses Thema bei der Regierungsvereinbarung "unter ferner liefen", sagte Klubobmann, LAbg. Georg Willi. "Wir werden mit diesem Abkommen nicht einmal das Kyoto-Ziel erreichen," erklärte Willi. (APA)