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Die Stadt Los Cristianos nahe dem Vulkankegel. Besteht auf der Ferieninsel Teneriffa Katastrophengefahr? Fachleute debattieren heftig darüber, wie wahrscheinlich ein Ausbruch des Vulkans Teide ist.

Foto: AP/Arturo Rodriguez
Teneriffa stehe ein Vulkanausbruch bevor, warnten Wissenschafter im Mai 2004. Einzelne Ortschaften könnten von glühenden Lavaströmen bedroht sein. Leichte Erdbeben im Norden der Kanareninsel hatten Möbel in den Häusern wackeln lassen und die Vulkanologen aufgeschreckt.

Magma steige in dem 3718 Meter hohen Pico del Teide auf und ließe den Untergrund erzittern, argumentierten die Forscher. Die symbolische Alarm-Ampel Teneriffas wurde vorsorglich auf Gelb gestellt, was Wachsamkeit bedeutet. Was folgte, waren chaotische Wochen auf der Ferieninsel im Atlantik.

Angesichts einer drohenden Katastrophe legten viele Bewohner Vorräte an. Manche übernachteten voll bekleidet im Freien. Politiker und Vulkanologen bezichtigten sich öffentlich, falsche Informationen zu verkünden: Alarmismus vergraule Touristen, schimpften die einen; Unehrlichkeit gefährde die Bewohner, warnten die anderen.

Am 20. Oktober 2004 erreichte die Aufregung dann ihren Höhepunkt: Anwohner sichteten eine "Rauchwolke" über dem Teide. Notrufe ließen das Telefonnetz zusammenbrechen. Nach Stunden gaben die Behörden Entwarnung: Es handelte sich nur um eine Schönwetterwolke. Der Berg ist bis heute ruhig.

Unnötige Warnungen?

Gut zwei Jahre später rechnen die Forscher miteinander ab. Manche äußern sich so drastisch, wie es für wissenschaftliche Fachjournalen unüblich ist: Die Warnungen hätten jeglicher Grundlage entbehrt, schreibt eine Gruppe um Juan Carlos Carracedo von der Station für Vulkanologie in La Laguna auf Teneriffa in Eos (Bd. 87, S. 462, 2006).

Es sei ein Fehlalarm gewesen, der die Glaubwürdigkeit der Forscher infrage stelle und die Tourismus-Wirtschaft unnötig in Schwierigkeiten gebracht habe. Allerdings: Auch Carracedo hatte im Mai 2004 vor einem Ausbruch gewarnt. Schon wenige Wochen später geißelte er dann aber den "Alarmismus" seiner Kollegen.

Die Erdbebendaten seien falsch interpretiert worden, sagt Carracedo nun. Vermehrt aus dem Vulkan strömendes Kohlendioxid sei irrtümlich als Anzeichen für aufquellendes Magma gedeutet worden. Der Vulkan scheint ihm Recht zu geben: Er hat sich beruhigt - Teneriffas Alarm-Ampel zeigt wieder Grün.

Die Gegenfraktion lässt sich von Carracedos Argumenten jedoch nicht überzeugen. Die Ruhe des Teide sei trügerisch, der Vulkan tatsächlich erwacht, warnen andere Wissenschafter. Indizien häuften sich, dass im Berg Magma Richtung Oberfläche ströme und in den nächsten Jahren ausbrechen könnte, schreiben nun mehrere Expertengruppen unabhängig voneinander in Geophysik-Magazinen.

Und wer sich wie Javier Almendros die Daten genauer ansieht, erkennt Gruseliges: Das Geräusch, das die Beben im Frühjahr 2004 verursacht haben, hätte geklungen wie Wasser, das durch eine Leitung fließt, berichtet der Forscher von der Universität Granada in der aktuellen Ausgabe des Journal of Volcanology and Geothermal Research. Magma-, Wasser- und Gasströme verursachten die Erschütterungen, folgert Almendros. Die Beben seien also keineswegs harmlos gewesen.

Vermehrte Dämpfe

Wochen später entdeckte Alicia Garcia vom Forschungszentrum CSIC in Madrid, dass verstärkt Dämpfe aus dem Vulkan stiegen. Damals sei der Teide erwacht, schreibt die Vulkanologin in Eos (Bd. 87, S. 61, 2006).

Messungen bestätigen das Szenario: Damit entdeckten Forscher um Joachim Gottsmann von der Universität Bristol, dass eine Substanz in den Vulkan vorgedrungen ist - und zwar in jenes Areal, in dem vermehrt Erdbeben registriert worden sind. Magma und heißes Wasser steige auf, vermuten deshalb auch Gottsmann und Kollegen in den Geophysical Research Letters (Bd. 33, 2006). Ein Ausbruch sei "statistisch überfällig", meint Gottsmann.

Dennoch bestehe derzeit keine akute Gefahr, darin sind sich die Experten einig. Der letzte wirklich große Ausbruch des Teide liegt rund 200.000 Jahre zurück. Kleinere Ausbrüche seien jederzeit möglich, sagt Hans-Ulrich Schmincke vom Leibniz-Institut für Meereswissenschaften in Kiel, der jahrzehntelang auf den Kanaren geforscht hat. Der Norden und Westen Teneriffas gelten einer 2005 veröffentlichten Risikokarte zufolge als wahrscheinlicher Schauplatz künftiger Eruptionen.

Doch eindeutige Alarmsignale gebe es nicht, betonte der Vulkanologe Joan Martí vom Erdforschungszentrum CSIC in Barcelona kürzlich auf der Tagung der Europäischen Geowissenschaftlichen Union in Wien. Es sei weit gehend unklar, wie sich der Teide vor einem Ausbruch verhalte. Über den Teide sei zu wenig bekannt, bestätigt Gottsmann. Die Überwachung des Vulkans vor 2004 sei lächerlich gewesen. Seine spanischen Kollegen hätten versäumt, rechtzeitig ein Messnetz auf dem Berg einzurichten, meint auch Schmincke.

Doch Reibereien unter den Wissenschaftern erschweren die Erforschung des Vulkans. So beschweren sich etwa Vulkanologen, dass sie sich zu wenig mit den Erdbebenkundlern austauschen könnten. Immerhin wurden auf dem Berg mittlerweile Sensoren installiert, um den Teide besser zu überwachen. Mit den Daten soll bei der nächsten Krise des Vulkans ein Chaos wie im Jahr 2004 verhindert werden. (Axel Bojanowski, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 12.1.2007)