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Shaun White in der Halfpipe beim X-Trail Jam im Tokio-Dome.

Foto: Reuters/Hanai
Von Tobias Moorstedt

Shaun White war gerade 14 Jahre alt, als er begann, für seine Familie zu sorgen. Der Skateboard- und Snowboard-Profi aus Kalifornien galt in der Szene früh als Jahrhunderttalent. Während seine Freunde in die Highschool gingen, hatte er 2001 bereits Sponsorenverträge über vier Millionen Dollar abgeschlossen. Danach kaufte er seinen Eltern ein Haus. Fünf Jahre später ist er das, was Sportmanager gerne eine Megamarke nennen, ein Jugendidol, ein Showman, ein Revolutionär. Shaun White dominiert die Snowboard-Halfpipe wie Tiger Woods das Golf-Green. 2006 hat er jeden Snowboard-Wettkampf gewonnen, an dem er teilnahm, gewann auch die Goldmedaille in Turin. Für den Snowboard-Marktführer Burton designt er mittlerweile die Kleidungslinie „The White Collection“, er hat Sponsorenverträge mit Sony, T-Mobile und HP, und der Videospielproduzent Ubisoft hat den 1,73 Meter großen Superstar digitalisiert und wird 2007 ein Shaun-White-Videospiel herausbringen. Ein modernes Denkmal.

Shaun White ist nur der Erfolgreichste unter den paar Dutzend sportiven Ich-AGs der Funsport-Szene. Die Surfer, Skateboarder, BMX-Fahrer und Snowboarder sind moderne Wanderarbeiter, die das ganze Jahr um den Globus reisen, immer auf der Suche nach dem Ort, wo der beste Schnee liegt, die besten Wellen an den Strand rollen und an dem sich ein bisschen Geld verdienen lässt. Die ehemaligen Rebellen-Sportarten haben den Marsch durch die Institutionen hinter sich, sind olympisch und – noch wichtiger – anerkannte Marken und Werbeträger.

Scheinbarer Widerspruch

Der Alternativsportler scheint auf den ersten Blick inkompatibel mit der Businesswelt zu sein. Anzüge, Krawatten und Marktforschung sind nichts für jemanden, dessen Glaubenskenntnis lautet: Ich mach mein eigenes Ding. „Die Extremsportler haben eine brodelnde Leidenschaft in sich“, schreibt das US-Magazin Entrepreneur, und das erlaubt es ihnen, auch in der Geschäftswelt erfolgreich zu sein. Reto Lamm kann das bestätigen. Der Schweizer Snowboard-Pionier, Gewinner des ersten „Air und Style“-Wettbewerbs, sagt: „Snowboarden ist eine gute Ausbildung zum Manager. Du reist schon mit 16 allein um die Welt, verhandelst mit Sponsoren, musst deine Leistung bringen und aufpassen, dass du einen korrekten Lohn dafür erhältst.“

Lamm macht seit seinem Karriereende Marketing für die Firma Bogner, organisiert Snowboardevents in Tokio oder produziert Werbespots für ein Casino in Las Vegas. Unter der lässig-leidenschaftlichen Oberfläche ist eben auch der Funsport nur – ein Sport. Der sportliche Wettkampf teil sich mit dem wirtschaftlichen Wettbewerb die gleichen Werte: Sei der Schnellste. _Be! On! Top! Die Turnhalle als Bootcamp der Leistungsgesellschaft – wer möchte sich darüber wundern?

Die Skateboarder und Snowboarder haben ein subversives und rebellisches Image. Das verkauft sich gut. Denn wenn, wie Georg Franck schreibt, der Kapitalismus zweiter Ordnung von der Beachtung, von der Aufmerksamkeit lebt, dann lebt er vor allem von der Differenz. Und im Kampf um Differenz ist die Gegenkultur besonders gut und deshalb „in den letzten vierzig Jahren eine der wichtigsten Triebkräfte des Konsumkapitalismus gewesen“, wie Andrew Heath und Joseph Potter in ihrem Buch Konsumrebellen: Mythos der Gegenkultur schreiben. Das Einzige, was den Funsportrebellen von der Schicki-Micki-Tante in der Fußgänger-Zone unterscheidet, ist, dass die eine ihr Distinktionsbedürfnis mit Louis-Vuitton-Taschen befriedigt, der andere mit einem Nietengürtel.

Ego-Marketing

Die Rebellion hat manche Menschen reich gemacht. Es gibt Erfolgsgeschichten zu erzählen. Dafür ist der Sport ja da. Zum Beispiel Tony Alva. Der ehemalige Skateboard-Profi begann in den 1970er-Jahren zu skaten und begleitete seinen Sport aus dem Underground hinauf aufs Börsenparkett. Irgendwann gründete er eine Firma, der er den einzigen Namen gab, der Sinn machte: seinen eigenen. „Beim Skateboarden geht es darum, die Kraft und die Geschwindigkeit zu fühlen und zu kontrollieren“, sagt Alva, „und ich möchte jetzt nicht abheben, aber das Business fühlt sich für mich ganz ähnlich an.“ Beispiel Mat Hoffmann, eine Legende im BMX-Sport, der mit dem Rad Doppelsalti schlägt und über Schluchten springt. Und weil dabei immer die Räder kaputt gingen, gründete er die Firma Hoffmann Bikes, um „Räder zu bauen, die meinen Fahrstil auch aushalten“, wie er in dem Buch Die Fahrt meines Lebens schreibt.

Beim Mannschaftssport verschwinden die Individuen hinter Trikots und Sätzen wie „Der Star ist die Mannschaft“. Der Funsportszene ist das Ego-Marketing inhärent: Erfolgreiche Skater oder Snowboarder bekommen von den Ausrüster-Firmen so genannte „Signature“-Produkte: selbst designte Schuhe, Bretter und Klamotten, die sich vor allem durch die Assoziation mit dem Athleten verkaufen. Die Szene hat eigene Medien und vor allem Videos, in denen sich die Fahrer präsentieren.

Skate- und Snowboard-Profis sind eine Mischung aus Showman, Extremsportler und Gesellschaftskritiker. Sie stehen für Abenteuer, Individualismus und Mut. Die Liste der One-Man-Marken ist lang: Tony Hawk, Shaun Palmer, Terje Haakonsen, usw. Der bekannte Name ist das Kapital für die Funsport-Unternehmer. Aber ein Unternehmen, das aus nichts anderem besteht als einem Körper, muss auch vollen Einsatz mit eben diesem bringen. „Das beste Marketing ist es, mich auf das Fahrrad zu setzen“, sagt BMX-Star Hoffmann. Hoffmann hat unzählige Schrauben in seinem Körper, hat sich den Schädel gebrochen und sich einmal, „weil er keine Versicherung hatte“, das Kreuzband in einem kanadischen Hotel flicken lassen. Spaß-Sport ist das falsche Etikett für diese Performance. Es sind Extremsportler, die eine unglaubliche Härte gegen den eigenen Körper zeigen, um neue Dimensionen zu erschließen. Die Boarder und Co sind vielleicht ein adäquates Rollenbild für den Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, in dem die Arbeitnehmer nicht mehr ausgebeutet werden, sondern das selbst übernehmen, krank zur Arbeit erscheinen, Überstunden machen und sich immer weiter pushen, um nur ein Stück höher zu kommen – auf der Karriereleiter oder dem nächsten Sprung in der Halfpipe. (DER STANDARD PRINTAUSGABE 13.1