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Zermürbend ist nicht nur der Schmerz, sondern auch die Diagnose. Schmerzmediziner erarbeiten individuelle Therapie- konzepte mit dem Ziel, Lebensqualität zu steigern.

Foto: Standard/corbis
"Achtung heiß", meldet das Gehirn lautstark - der akute Schmerz als lebenswichtiges Warnsignal des Körpers ist allgemein bekannt. Meist hat er äußere Ursachen wie Hitze, Stiche oder Brüche. Anders der neuropathische Schmerz oder Nervenschmerz: Er entsteht im Nervensystem selbst und ist chronisch. Das Besondere daran: Der verantwortliche Schmerzreiz fehlt. Laut einer Studie des Marktforschungsinstituts Fessel GfK leiden 262.000 Menschen in Österreich an dieser Erkrankung. Alarmierend ist der lange Leidensweg der Patienten: Jeder Vierte quält sich bereits seit mehr als fünf Jahren damit, durchschnittlich suchen die Betroffenen fünf Ärzte auf, bis die richtige Diagnose gestellt wird.

Ursache des Übels

"Es ist wichtig, die Ursachen des Nervenschmerzes zu verstehen, um optimal behandeln zu können. Er entsteht durch geschädigte oder zerstörte Nervenfasern", betont Christian Lampl von der Abteilung für Allgemeine Neurologie und Schmerzmedizin am Kooperationsspital Barmherzige Schwestern und Barmherzige Brüder Linz. Zu den häufigsten Ursachen des neuropathischen Schmerzes zählen neben Diabetes, Krebs und Alkoholmissbrauch auch Gürtelrose, Trigeminus-Neuralgie, HIV-Infektionen oder das Karpaltunnelsyndrom. So leiden etwa 30 bis 50 Prozent aller Diabetiker an der so genannten diabetischen Polyneuropathie. Schädliche Abbauprodukte der im Blut übermäßig vorhandenen Glukose sind die Ursache dafür. Die Patienten haben dann häufig Missempfindungen wie "auf Watte gehen" oder kribbelndes "Ameisenlaufen". Ein Tumor kann in das umliegende Gewebe einwachsen und dadurch die Nerven schädigen.

Alltägliche Einschränkungen

Schlafstörungen, Schmerzen bei sportlichen Aktivitäten, Kälteempfindlichkeit, Empfindlichkeit bei leichter Berührung oder durch Kleidung, diese Art von neuropathischen Schmerzen schränken die betroffenen Patienten und Patientinnen in vielen Lebensbereichen ein. Als "brennend, schneidend, nagend" beschreiben Betroffene die Art der Schmerzen häufig. Die Schmerzpunkte können über den ganzen Körper verteilt sein: Rücken, Beine, Schultern, Füße und Zehen - jeder Körperteil kann betroffen sein

Schwierige Behandlung

"Beim Kopfschmerz ist es relativ einfach. Man nimmt eine Kopfschmerztablette und wartet. Meist ist das Problem nach kurzer Zeit gelöst. Viel schwieriger ist die Behandlung beim neuropathischen Schmerz, dem man mit Analgetika, den klassischen Schmerzmitteln, nicht beikommt", deutet Schmerzmediziner Burkhard Gustorff von der Universitätsklinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin an der Medizinischen Universität Wien die Probleme bei der Behandlung an.

Lindernde Strategie

Die Therapie besteht grundsätzlich aus drei Säulen. Topische Arzneien werden auf der Haut angewendet. Der Inhaltsstoff der roten Pfefferschote, Capsaicin, wird dabei als Salbe eingesetzt. Lidocain ist ein örtliches Betäubungsmittel, das auch injiziert werden kann. In der Schweiz ist ein Pflaster mit diesem Wirkstoff zugelassen, das Schmerzen bei der Post-Zoster-Neuralgie lindert und andere oberflächliche neuropathische Schmerzen wie zum Beispiel Narbenschmerzen. Auch in Großbritannien gibt es seit Kurzem ein Pflaster gegen Schmerzen nach einer Gürtelrose. In Österreich sind die Pflaster noch nicht zugelassen, sie können zwar über die Apotheken bestellt werden, die Kosten sind aber relativ hoch.

Die zweite Säule sind systemische Therapien mit den ursprünglich als Antiepileptika eingeführten Antikonvulsiva, Opioiden und Antidepressiva. "Neuropathischer Schmerz ist immer individuell, daher gibt es auch bei der Therapie nicht nur ein Schmerzmedikament", konstatiert Gustorff. Dem neuropathischen Schmerz sei selbst mit Nervenmedikamenten nicht immer beizukommen, in der Regel sind Kombinationsbehandlungen notwendig.

Drastische Maßnahme

Eine andere Möglichkeit ist die invasive Schmerztherapie. Diese sind oft die letzte Hoffnung für Schmerzpatienten: etwa die Implantierung von Stimulationselektroden in die Wirbelsäule oder der Einsatz von Medikamentenpumpen. Nicht zu vergessen sind, laut Gustorff, auch aktivitätsfördernde und psychotherapeutische Aspekte im Therapieplan.

Richtige Ansprechpartner

Für zwei Drittel der Betroffenen ist der Hausarzt bei Schmerzen der erste Ansprechpartner. "Es ist aber entscheidend, schon bei den ersten Symptomen einen Schmerzmediziner aufzusuchen", betont Gustorff. Bei Bedarf müsse in weiterer Folge ein Neurologe hinzugezogen werden. Nervenschmerz ist selten zu heilen, umso wichtiger ist die Verbesserung der Lebensqualität für die Patienten, zum Beispiel durch bessere Schlafqualität. "Die Zukunft liegt darin herauszufinden, welche individuellen Schmerzmechanismen beim einzelnen Patienten dahinter- stecken, und in weiterer Folge, welche Muster von Schmerz auf welche Therapie ansprechen", gibt Gustorff einen Ausblick auf die Schmerzforschung. (DER STANDARD, Printausgabe, Marietta Türk, 15.1.2007)