Er sei „arrogant und selbstgefällig“, sagt die soeben aus der SPÖ ausgetretene ÖH-Vorsitzende Barbara Blaha über den neuen Kanzler. Fernsehzuseher und Zeitungsleser erlebten einen Gusenbauer, der die hageldicht heruntersausende Kritik aus der eigenen Partei mit einem Lächeln auf den Lippen an sich abperlen ließ. Umgeben hat er sich außerdem mit einem Küchenkabinett aus dem engsten Jugend-Kreis. Da wir Gusenbauer wahrscheinlich doch ein paar Jahre haben werden, üben wir uns ein wenig in Pop-Psychologie. Das Schlüsselwort hat dieser Tage Gusenbauers Freund, der Schauspieler Harald Krassnitzer, verwendet: Gusi sei „misstrauisch“.

Das wäre überhaupt kein Wunder. Schon als begabtes Kind am Land, dann als junger Mann mit scharfem Intellekt, aber ohne Geld und Glamour, wird sein Leben nicht leicht gewesen sein. Als er den völlig unwahrscheinlichen Karrieresprung zum Parteivorsitzenden schaffte, wurde er medial, innerparteilich und vom politischen Gegner mit großteils persönlichen „Argumenten“ heruntergemacht. Die Gewerkschaftsbosse nahmen ihn nicht für voll, die Zeitungen verbreiteten sich über seine Äußerlichkeiten. Warum soll er da nicht misstrauisch (geworden) sein?

Aber nach sieben Jahren in der medialen Hundehütte, nachdem noch im vergangenen Sommer keiner mehr ein Bawag-Sparbuch auf ihn gewettet hatte, ist er doch Kanzler. Warum sollte er da nicht selbstbewusst sein? Was durchaus als selbstgefällig rüberkommen kann. Gusenbauers in der Tat auffällige Selbstsicherheit hat aber noch einen anderen Grund: Er glaubt an seine Funktion als Überwinder des „alten Denkens“ in der Sozialdemokratie.

Hier verlassen wir den Bereich der psychologischen Interpretationen und gehen über zur weltanschaulichen Betrachtungsweise: Der neue Kanzler ist ein ziemlich „rechter“ Sozialdemokrat.

Trotz seiner Sozialisation im Juso-Biotop steht er für eine Linie, die die neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten (Globalisierung) nicht wegwünschen (wie die Gewerkschaften), sondern abfedern und bewältigen will. Und nicht erst seit gestern. Sein ursprünglicher, schlecht aufgenommener Slogan hieß „solidarische Hochleistungsgesellschaft“.

Was die Gewerkschaftler und die Parteilinke daran störte, war der Begriff „Hochleistung“. Das klang nach einer Arbeitsaufforderung. Gemeint hat Gusenbauer damit, dass sich angesichts der Konkurrenz vor unserer Haustür unser Wohlstand nur durch eine gewaltige Qualifizierungsoffensive retten lässt. Jetzt macht er praktisch die Empfehlungen des „Weißbuchs“ des Wirtschaftsforschungsinstituts (Leitung: ein liberaler Bürgerlicher), zu seinem Programm. Sein neuer Slogan lautet jetzt übrigens „Leistung mit sozialer Solidarität“.

Auch Gusenbauer will Vermögende stärker belasten, aber nicht nur als reiner Reflex, sondern im Rahmen eines Konzepts. Und was die Studienbeiträge betrifft: Da ist ihm etwas passiert, aber auch deshalb, weil er nicht ganz versteht, warum das so unerträglich sein soll, wenn man Immigrantenkindern beim Lernen hilft.

Gusenbauer enttäuscht die traditionelle Sozialdemokratie, die nach dem unerwarteten Wahlerfolg weitermachen will, wo man 2000 aufgehört hat. Dabei lässt er sie spüren, was er von ihrem „alten Denken“ (verbreitet auch unter Jungen) hält. Das sollte er lieber nicht tun. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 16.1.2007)