Die beiden haben sich dank seiner Signale gefunden: Wanderheuschreckenpaar beim Sex.

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Bei der Partnerwahl vertrauen weibliche Grillen und Heuschrecken ganz darauf, wie sehr sie der Gesang des Männchens beeindruckt. Grazer Forscher untersuchen, auf welchen neuronalen Grundlagen der "Musikgeschmack" der Weibchen beruht und wie stark er individuell variiert.


Wer in einer lauen Sommernacht dem Zirpen von Grillen zuhört, mag romantische Gefühle entwickeln. Die wenigsten ahnen jedoch, dass sie – wie bei den Gesängen der Vögel – einem beinharten Konkurrenzkampf lauschen, bei dem es wieder einmal nur um eines geht: Sex.

Wenn Männchen bei der Balz um die Paarung mit Weibchen konkurrieren, erzeugen sie Signale in Form von Gesängen, Düften oder optisch auffälligen Verhaltensweisen. Da Weibchen auf der Basis dieser Signale ihre Wahlentscheidung treffen, geht es darum, das Sinnessystem der Weibchen maximal zu stimulieren. Sinnessysteme haben allerdings oft die Eigenschaft, für bestimmte Signalformen besser empfänglich zu sein als für andere – aus Gründen, die mit dem Signal der Männchen gar nichts zu tun haben.

Lockende Milben

Männliche Wassermilben etwa locken Partnerinnen an, indem sie die Wasseroberfläche in Schwingungen versetzen. Mithilfe derselben Signale lokalisieren die Tiere auf dem Wasser befindliche Beute – wobei das Beutesignal, wie Wissenschafter zeigen konnten, älter ist als das Männchensignal. Offenbar haben die Männchen ein Signal entwickelt, das sich erfolgreich eines bereits vorhandenen Wahrnehmungskanals der Weibchen bedient.

Eine solche Prädisposition für eine bestimmte Form von Signalen nennt man einen sensorischen Bias. Dieser kann einen wesentlichen Einfluss auf den Fortpflanzungserfolg haben und daher die Evolution der dazugehörigen Signale maßgeblich beeinflussen. Heiner Römer vom Institut für Zoologie der Uni Graz und seine Mitarbeiter untersuchen derzeit in einem FWF-Projekt solche Beeinflussungen bei der akustischen Kommunikation von Grillen und Heuschrecken. Männliche Grillen erzeugen mithilfe ihrer Vorderflügel einen Gesang, von dem paarungsbereite Weibchen angelockt werden. Männchen einer Population unterscheiden sich dabei in der Tonhöhe: Die Variationsbreite reicht etwa von 4000 bis 5200 Hertz. Welche Tonhöhe die Weibchen bei der Wahl bevorzugen, hängt laut Römer vom Sinnessystem des jeweiligen Weibchens ab. "Bisher hat man in der Evolutionsbiologie vor allem die Variabilität der Männchensignale betont; wir untersuchen die Weibchenpräferenz, ihre individuellen neuronalen Grundlagen und deren Variabilität."

Das Gehörorgan der Weibchen ist auf eine Gesangsfrequenz besonders gut abgestimmt. Wen das Weibchen bevorzugt, hängt ganz entscheidend von diesem Tuning ab. Die Präferenz der Weibchen wird auf einem so genannten Laufkompensator ermittelt, ein von einem Luftpolster getragenen Styroporball. Dabei wird festgehalten, auf welchen von zwei präsentierten Männchengesängen es wie stark reagiert. Anschließend registrieren die Forscher bei denselben Weibchen die Aktivität von Nervenzellen, die entscheidend an der Verarbeitung der Gesangsinformation beteiligt sind. So können sie für jedes Individuum überprüfen, ob das Weibchen im Verhalten dasjenige Signal bevorzugt hat, das sein Gehörsystem am besten stimuliert hat. Die bisherigen Ergebnisse bestätigen dies eindeutig: "Kein einziges Individuum zeigte bisher eine Präferenz für ein Signal, das das Gehör schwächer erregte als das alternative Signal. Ein ganz starkes Argument für die Hypothese eines sensorischen Bias für die Evolution von Signalen".

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Attraktive Symmetrie

Mit ähnlichen Methoden soll am Modellsystem der Grillenkommunikation auch eine Hypothese überprüft werden, die in den letzten Jahren für viel Aufmerksamkeit sorgte, nämlich dass bei der Partnerwahl bei Tieren, aber auch bei Menschen, die Symmetrie/ Asymmetrie von Merkmalen eine wichtige Rolle spielt. Tatsächlich haben britische Forscher gefunden, dass manche Grillenmännchen einen unterschiedlich großen rechten und linken Vorderflügel besitzen, mit denen sie den Gesang erzeugen.

Da die Größe auch die Tonhöhe des Gesangs bestimmt, kommt es bei asymmetrischen Männchen zu einem abweichenden Muster in der Tonhöhe innerhalb einer Gesangssilbe. Weibchen könnten also theoretisch ein symmetrisches von einem asymmetrischen Männchen rein akustisch schon in einer Entfernung von rund zwei Metern erkennen und eine entsprechende Entscheidung fällen. In der Grazer Forschergruppe untersucht man gerade, ob die in der Regel recht geringen Asymmetrien der Männchen überhaupt vom Sinnessystem der Weibchen wahrgenommen werden können. Die bisherigen Ergebnisse sprechen nicht dafür. Nur wenn die Asymmetrien sehr groß sind (was in einer natürlichen Population selten vorkommt), kann man in den Antworten der verantwortlichen Nervenzellen auch Unterschiede erkennen. Lassen sich diese Ergebnisse in abschließenden Experimenten absichern, so würden sie erstmals auf sinnesphysiologischer Ebene bestätigen, was ein britischer Forscher aufgrund einer umfassenden Analyse schon vermutete: Dass die meisten Asymmetrien so gering sind, dass sie von den Sinnessystemen wahrscheinlich nicht erkannt werden können.

Die Grazer Forschergruppe hat schon vor Jahren eine Eigenschaft in Nervenzellen von Heuschrecken beschrieben, die diesen hilft, ein Hörproblem zu lösen, das dem bei Menschen ähnlich ist. Wir Menschen sind imstande, uns auch inmitten des Stimmengewirrs einer Party mit einem bestimmten Gegenüber zu unterhalten. Diese erstaunliche Fähigkeit ist auch als Cocktailparty-Phänomen bekannt. Bei Heuschrecken, die auch häufig in Chören vieler Individuen und verschiedener Arten hören müssen, findet man Ähnliches: Nervenableitungen aus den Insektengehirnen zeigten, dass bei mehreren gleichzeitig aktiven Schallquellen jeweils nur die lauteste wahrgenommen wird.

Der Effekt hält fünf bis zehn Sekunden lang an, während deren alle weniger intensiven Rufe gar nicht registriert werden. Arten mit kürzeren Gesangsstrophen sind dadurch massiv benachteiligt, weil die Weibchen die Rufe "ihrer" Männchen in Gegenwart intensiv singender Fremder überhaupt nicht hören. Es wird untersucht, wie dieser Mechanismus Einfluss auf die Strukturierung und Nischenbildung in gemischten Heuschreckenchören hat. Viele weitere solcher Prädispositionen in Sinnessystemen warten noch auf ihre Entdeckung. Wie es aussieht, kann man jedoch davon ausgehen, dass dasselbe Männchen für eine Sorte Weibchen attraktiv sein kann, während es eine andere Sorte weit gehend unbeeindruckt lässt, weil es für diese buchstäblich die falschen Signale aussendet. (Susanne Strnadl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 17.1. 2007)