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Die Familienstruktur hat sich auch in Frankreich enorm gewandelt", erklärt die Studien-Verfasserin Lucile Richet-Mastain. Allein stehende, geschiedene, berufstätige und bis zu vierzig Jahre alte Mütter sind in Frankreich Alltag

Foto: AP/ Patrick Pleul
Sogar die seriöse Zeitung Le Monde meint augenzwinkernd, die Französinnen seien offenbar "in Hochform". Der in Frankreich seit Jahrhundertbeginn festzustellende Trend zu einer steigenden Geburtenrate hat sich 2006 erneut verstärkt. Wie das nationale Statistikamt Insee am Dienstag bekannt gegeben hat, sind in Frankreich im vergangenen Jahr 830.000 Säuglinge auf die Welt gekommen - erstmals seit 1974 kommen auf eine Frau im gebärfähigen Alter wieder mehr als zwei Kinder. Dieser Wert liegt klar über dem europäischen Schnitt von 1,5. Er dürfte dafür sorgen, dass die Bevölkerungszahl Frankreichs bis 2050 von derzeit 61 auf 70 Millionen ansteigt.

Die Hälfte ist "außerehelich"

Zwei bemerkenswerte Phänomene gehen mit dieser Gebärfreudigkeit einher. Zum einen sind die gebärenden Französinnen heute durchschnittlich fast 30 Jahre alt. Das Gebäralter ist damit seit der Babyboom-Zeit um mehrere Jahre gestiegen. Zum anderen kommt heute jedes zweite "Französlein" außerehelich auf die Welt. "Die Familienstruktur hat sich enorm gewandelt", meint die Studien-Verfasserin Lucile Richet-Mastain. Allein stehende, geschiedene, berufstätige und bis zu vierzig Jahre alte Mütter sind in Frankreich Alltag.

Der Staat hilft kräftig mit

Diese zwei Phänomene erklären den seit 2000 anhaltenden "Mini-Boom" zum Teil. Einfach gesagt, kommen immer mehr Frauen als Mütter in Betracht. Der Staat hilft kräftig mit. Frankreich fördert das Kinderkriegen seit den Weltkriegen, als es der Nation an Nachwuchs fehlte. Diese Tradition - noch sichtbar, wenn der Staatspräsident im Elysée-Palast den gebärfreudigsten Müttern eine Medaille umhängt - mündet in eine sehr offensive Familienpolitik. Der Staat lässt sich Steuerfreibeträge, Kinderzulagen und jede Menge von Vorteilen für kinderreiche Familien jedes Jahr Milliarden kosten.

Öffentliche Betreuung

Wohl nirgends gibt es so viele Arten von städtischen, staatlichen oder neuerdings auch betrieblichen Kinderkrippen und Vorkindergärten. Laut des Leiters des französischen Demografie-Institutes Ined, François Héran, verbringen dort schon 35 Prozent aller Zweijährigen den Tag; die Dreijährigen gehen allesamt von der familiären in die öffentliche Tagesobhut über.

Nationale "Pflicht"

Konservative Politiker üben daran Kritik. Sie verschaffen sich aber wenig Gehör gegen Frauenrechtlerinnen und staatliche "Natalitätstreiber". Deren faktische Allianz hat in der Grande Nation zu einem Mentalitätswandel geführt: Die Französin, die - möglichst viele - Kinder großzieht, obwohl sie zur Arbeit geht, verkörpert ein grundsätzlich positives Bild; einerseits lebt sie Freiheit und Vielfalt aus, andererseits erfüllt sie ihre nationale "Pflicht".

Die hohe Geburtenrate à la française ist eben nicht nur eine Sache des Geldes - und entgegen einer verbreiteten Meinung auch kaum der Immigration. Einwandererfrauen haben zwar eine leicht höhere Geburtenrate von 2,4 Kindern, doch dies fällt zahlenmäßig wenig ins Gewicht. (Stefan Brändle, DER STANDARD Printausgabe, 17.01.2007)