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Deutschland: Feuerwehrleute beseitigen einen Baum, der im Sturm auf ein Haus gefallen war.

Foto: AP/MArtin Meissner

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Schadensbehebung in Polen.

Foto: APA/EPA/Grzegorz Momo
Berlin/Amsterdam/Prag/Warschau/Zürich/Kiew - Der Orkan Kyrill (altgriechisch: Der Herr), der am Donnerstag und in der Nacht auf Freitag mit Spitzengeschwindigkeiten von mehr als 200 km/h über Teile Europas zog, hat Dutzende Menschenleben gefordert und schwere Sachschäden angerichtet. In Großbritannien starben mindestens 13 Menschen, in den Niederlanden sechs, in Tschechien und Polen je vier. In Belgien und Frankreich wurden jeweils zwei Sturmtote gemeldet. In der Ukraine legte der Sturm eine wichtige Pipeline lahm.

Viele Tote und riskanter Einsatz in Großbritannien

In Großbritannien normalisierte sich die Lage am Freitag nur langsam. Der Zugverkehr war streckenweise noch durch Bäume und Geröll auf den Gleisen behindert. Zunächst waren noch tausende Haushalte ohne Strom. Im Ärmelkanal wurde ein führerlos treibendes Containerschiff ins Schlepptau genommen, 26 Mann Besatzung waren am Donnerstag in riskanten Hubschrauber-Einsätzen in Sicherheit gebracht worden.

Unter den 13 Toten ist der Direktor des Internationalen Flughafens von Birmingham. Er war mit seinem Auto unterwegs, als Äste eines umgestürzten Baumes durch die Frontscheibe in den Wagen schlugen. Auch andere Autofahrer kamen auf diese Weise ums Leben. Mehrere Menschen - darunter ein zweijähriger Bub - wurden durch einstürzende Mauern oder Gebäude getötet.

Ausnahmezustände in den Niederlanden

In den Niederlanden gab es beim schwersten Sturm seit Jahren abgesehen von sechs Toten zahlreiche Verletzte. Ein elfjähriger Bub kam ums Leben, als er auf seinem Fahrrad von einer heftigen Windböe gegen ein Auto geschleudert wurde. Ein Autofahrer raste bei schlechter Sicht und heftigem Regen in eine stehende Lkw-Kolonne. Der Bahnverkehr war in der Nacht unterbrochen. Das Rote Kreuz versorgte in der Nacht 6.000 Reisende, die auf Bahnhöfen gestrandet waren und keine Unterkunft mehr finden konnten. Die Versicherungen schätzten den Schaden im Land auf etwa 160 Millionen Euro.

Deutschland: Lage normalisiert sich

In Deutschland hat sich das Leben nach dem schweren Orkan mit mindestens zwölf Toten am Freitag langsam wieder normalisiert. Zehntausende Helfer waren im Einsatz, um Sturmschäden zu beseitigen. Umgefallene Bäume, beschädigte Autos, abgedeckte Dächer und Stromausfälle sorgten nach Einschätzung des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft für einen versicherten Schaden von rund einer Milliarde Euro. Der Deutsche Wetterdienst erwartete am Samstag ein neues Sturmtief namens "Lancelot" über der Nordsee und gab für die Küstenregionen eine Sturmvorwarnung heraus.

Die Küstenregionen blieben von befürchteten Sturmfluten verschont. Abgedeckte Häuser, zerfetzte Stromleitungen und entwurzelte Bäume im Binnenland sorgten aber für ein Verkehrschaos. Die Bahn stellte erstmals deutschlandweit ihren Betrieb ein. Auf dem erst im Mai vergangenen Jahres eröffneten Berliner Hauptbahnhof war Donnerstagabend ein tonnenschwerer Stahlträger aus 40 Metern Höhe auf eine Stiege im Eingangsbereich gestürzt. Der als Meisterleistung moderner Ingenieursbaukunst gepriesene Bahnhof - die Errichtungskosten wurden auf 700 Millionen Euro geschätzt - war bis Freitagmittag gesperrt. Die meisten der zwölf Menschen, die im Sturm ums Leben kamen, starben durch Verkehrsunfälle. Von dem Orkan wurden auch Kulturgüter in Mitleidenschaft gezogen. So lösten sich aus der zum Welterbe zählenden Schlosskirche in der Lutherstadt Wittenberg zahlreiche Gesteinsbrocken.

202 Stundenkilometer in Bayern

Der Deutsche Wetterdienst hat Kyrill als einen der schwersten Stürme der vergangenen 20 Jahre eingestuft. Die höchste Geschwindigkeit hatte der Orkan in der Nacht mit 202 Kilometern in der Stunde auf dem Wendelstein in Bayern erreicht, sagte Uwe Kirsche vom Deutschen Wetterdienst (DWD) in Offenbach am Freitag.

Dahinter liege der Brocken im Harz mit immerhin noch 198 Kilometern pro Stunde. Orkan Lothar sei Ende 1999 mit Spitzengeschwindigkeiten von 256 Kilometern pro Stunde auf dem Wendelstein zwar wesentlich stärker gewesen, aber auf Süddeutschland beschränkt geblieben. Das Besondere an Kyrill sei, dass er Deutschland flächendeckend getroffen habe, sagte Kirsche. Normalerweise richteten schwere Stürme eher regionale Schäden an.

In Tschechien tödliche Unfälle

In Tschechien hat der Sturm vier Menschen das Leben gekostet. In Nordböhmen wurde ein Feuerwehrmann von einem Baum erschlagen, in der Nähe von Prag tötete ein umstürzender Baum zwei Autofahrer. Ein weiterer Mann starb bei einem Verkehrsunfall. Landesweit wurden Gebäude abgedeckt. In vielen Orten fiel der Strom aus, es herrschte Verkehrschaos. Auch in Südböhmen blockierten umgestürzte Bäume Bahngleise. In rund einer Million Haushalte gab es keinen Strom, in Polen waren es zehntausende.

Spitzengeschwindigkeit in der Schweiz

In der Schweiz, wo Kyrill laut Wetterdienst Meteomedia auf dem Aletschgletscher mit 225 km/h den europäischen Spitzenwert erreichte, waren mehrere Verkehrsverbindungen unterbrochen. Im Appenzellerland wurde in Zug von den Schienen geblasen.

Ukraine: Pipeline lahmgelegt

Der Orkan "Kyrill" hat einen Teilstrang der "Freundschaft"-Ölpipeline ("Druschba") für Stunden lahm gelegt. Im Westen der Ukraine waren am Freitag zwei Pumpstationen entlang der Leitung von einem Stromausfall betroffen, teilte der Zivilschutz des Gebietes Lwow (Lemberg) mit. Die Gesamtlieferungen russischen Erdöls in Richtung Europäische Union seien nicht gefährdet gewesen, gab der Pipelinebetreiber Transneft in Moskau bekannt.

Am Donnerstagabend war der Ölfluss über den ukrainischen Arm der "Druschba"-Pipeline nach Ungarn, Tschechien und in die Slowakei ausgefallen. Windböen rissen in der Westukraine Strommasten um, so dass mehrere Ortschaften ohne Elektrizität blieben. In zwei Städten fiel über Stunden die Trinkwasserversorgung aus. In der russischen Ostsee-Exklave Kaliningrad (ehemals Königsberg) gaben die Behörden Sturmwarnung. Seit kurz nach 13.00 Uhr MESZ floss das Öl wieder, berichtete die ukrainische Pipelinegesellschaft Ukrtransnafta später.

Über den südlichen Strang der "Freundschaft"-Ölpipeline werden die Ukraine, die Slowakei, Ungarn und Tschechien mit Öl versorgt. "Unser Export läuft im vollen Umfang", teilte ein Transneft-Sprecher mit. Aus Moskauer Sicht habe es keine Probleme gegeben. (APA/dpa/sda/AP/AFP)