Caritas-Chef Michael Landau (li.) und sein Bruder Daniel wollen "die Grenzen der Anständigkeit neu buchstabieren". Und halten die Bedeutung von Dienstautos für so relativ wie die Demut.

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Warum der Markt "eine Bremse" braucht und Österreichs Manager sozial sind, diskutierten sie vor Renate Graber.

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STANDARD: Sie sind beide karitativ tätig - der eine als Chef der Caritas; der andere als Musiker, der gerade auf Ebay ein Konzert seines Orchesters versteigert hat und den Erlös von 12.050 Euro der Caritas spendet. Lassen Sie mich kurz zur neuen Regierung fragen: Wird es jetzt wärmer in Österreich?

Michael Landau: Im Regierungsprogramm ist eine Reihe von guten Ansätzen und Zielen definiert, manches kommt aber über die Überschriften nicht hinaus. Was zählt, sind die Taten. Für mich misst sich der Erfolg daran, ob es gelingt, eine neue Aufmerksamkeit für die Menschen an den Rändern der Gesellschaft und des Lebens zu gewinnen. Dass es kein Staatssekretariat für Integration gibt, enttäuscht mich.

STANDARD: Sie sehen einander oft, streiten Sie über so etwas?

Daniel Landau: Nein, wir sehen das ähnlich. Ich sage: Die Chance auf Erwärmung ist da.

Michael Landau: Und auch ich traue den handelnden Personen der Koalitionsparteien Sensibilität zu. Leistungsfähigkeit der Wirtschaft und Qualität der sozialen Sicherheit in einem Land sind zwei Pfeiler einer Brücke, und die braucht eben beide Pfeiler. Da ist in Österreich und Europa zuletzt einiges aus dem Lot geraten: Leistung, Engagement, Einsatz sind wichtig, aber ebenso die Aufmerksamkeit für die am Rande. Ein Drittel unserer Klienten muss nach Abzug der Fixkosten mit weniger als zwei Euro am Tag auskommen.

STANDARD: Aber gerade in Österreich ist doch der viel zitierte kalte Wind des Wettbewerbs ein laues Lüfterl, verglichen mit anderen Ländern.

Michael Landau: Der Riss zwischen Wohlstand und Armut wächst trotzdem. Aber: Ich sehe auch ein hohes soziales Verantwortungsbewusstsein.

STANDARD: Die Österreicher sind besonders sozial?

Michael Landau: Da gibt es eine gute Tradition. Das sehe ich auch in den Unternehmen, mit denen ich zu tun habe. Sie sind bereit, Menschen zu helfen - das soll sich mit struktureller Solidarität ergänzen: Der Sozialstaat ist kein Auslaufmodell. Die Vorstellung, alle Einzelinteressen würden sich harmonisch zum Gemeinwohl fügen, wenn man das nur der unsichtbaren Hand des Marktes überlässt, hält nicht.

STANDARD: Die Idee vom Sozialstaat ist christlich, aber out - der eigenverantwortliche Mensch ist gefragt.

Michael Landau: Eigenverantwortung und Solidarität. Wir müssen die Grenzen des Anständigen neu buchstabieren: Es geht uns nur gut, wenn es allen gut geht.

Daniel Landau: Darum spenden wir auch unser Konzert. Ich will helfen - besser gesagt: meinen Beitrag leisten.

STANDARD: Warum verwenden Sie das Wort "helfen" ungern?

Michael Landau: Das Wort hat etwas Paternalistisches ...

Daniel Landau: ... geht von oben nach unten. Es geht aber eher um einen Glücksausgleich, um Gerechtigkeit ...

Michael Landau: ... und darum, Menschen den Mut zu geben, zur Realität hin- statt wegzuschauen. Caritas ist eine Form der Sehschule: hinschauen, verändern wollen.

STANDARD: Apropos Hinschauen: Als Chorsänger spielen Sie am Burgtheater mit, Sie sind Dirigent, Cellist, Flötist, Team-Staatsmeister in Bridge ...

Daniel Landau: Ja, am Theater brauchen sie immer wieder wen für den Chor. In "Käthchen von Heilbronn" und in "Zu ebener Erde und im ersten Stock" habe ich mitgespielt.

STANDARD: Da hat man kaum etwas vom ersten Stock gesehen, wenn man vorn saß.

Daniel Landau: Die Beleuchtung war so, dass man im ersten Akt sowieso nichts sah. Mein Bruder hat übrigens auch Klavier gelernt, aber er war wenig begeistert davon. Dafür war er in der Schule besser, wurde mir oft als Vorbild vorgehalten - ich musste immer sehr viel lachen im Unterricht. Und: Bridge spiele ich wirklich leidenschaftlich gern.

Michael Landau: Ja, er ist ein heller Kopf.

STANDARD: Hat ja auch Wirtschaft studiert. Was mich zurückbringt zur Ökonomie: Immer wieder wird wegen hoher Gehälter die "Gier der Manager" kritisiert. Raffzähne?

Michael Landau: Gar nicht. Wir haben in Österreich international erfolgreiche Unternehmen, es ist richtig, deren Chefs nach internationalen Standards zu bezahlen. Das zeigt, dass es eine gesunde, starke Wirtschaft gibt - und die brauchen wir auch. Hüten muss man sich vor zwei Straßengräben: der blinden Wirtschaftsangst und dem blinden Wirtschaftsglauben, wonach der Mensch für die Arbeit da ist, obwohl es umgekehrt ist.

STANDARD: Sehen Sie eine Grenze, ab der Einkommen unmoralisch hoch werden?

Michael Landau: Da gibt es keine einfachen Antworten.

STANDARD: Die schwierige?

Michael Landau: Uns von der Caritas stimmt es nachdenklich, dass die Gewinne zuletzt doppelt so stark gewachsen sind wie die Löhne und Gehälter. Unser Wohlstand wächst - das ist gut. Die Kluft zwischen Arm und reich wächst - das ist ein Problem.

STANDARD: Also wollen Sie neue Vermögenssteuern.

Michael Landau: Das ist kein Caritas-Thema. Aber man kann diskutieren, ob es gerecht ist, dass Erwerbseinkommen progressiv besteuert werden, Einkommen aus Kapital aber nicht. Das war jetzt der obere Rand einer Caritas-Aussage.

STANDARD: Ich sehe Sie oft bei Empfängen, Sie kennen viele Manager. Wie sozial sind die?

Michael Landau: Es ist erstaunlich viel soziale Wachheit da, viele engagieren sich sehr konkret in Projekten.

STANDARD: Geht es da nicht eher um einen scheinheiligen, prestigeträchtigen Trend als um ernsthaftes Engagement?

Michael Landau: Nein, nehmen Sie nur die Erste Bank mit ihrer "zweiten Bank", in der sie Konten für Menschen bereitstellt, die sonst keine bekommen. Das ist ein innovatives und sehr soziales Projekt. Oder Raiffeisen, die etwa unsere Hospiz-Arbeit sehr unterstützen und unsere Wiener Obdachloseneinrichtung Gruft. Das hat natürlich einen Nutzen für die Unternehmen, aber auch für die Betroffenen. Und da fiele mir noch eine ganze Reihe anderer Unternehmen ein.

STANDARD: Geht die Rechnung so: hohe Gewinne, hohes Einkommen - schlechtes Gewissen, Spenden an die Caritas?

Michael Landau: Nein, das ist zynisch. Es geht um nachhaltiges soziales Engagement, das die Unternehmen immer professioneller organisieren, um Corporate Social Responsibility, CSR. Ich bin davon überzeugt, dass es sich rechnet, eine Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung zu halten. Wobei die Wirtschaft bei CSR Freiwilligkeit fordert, ich aber glaube, sie muss verbindlich sein. Der Nationalökonom Josef Schumpeter sprach von der "Sozialpolitik als Bremse": Ein Auto mit Bremse fahre deutlich schneller als eines ohne. Das sehe ich auch so, und ich würde den Einbau der Bremse nicht gern dem Spiel des freien Marktes überlassen.

STANDARD: Kann man soziales Verhalten rechtlich verordnen?

Michael Landau: Nennen Sie es Gesetze, Codices ...

Daniel Landau: ... oder Klima, in dem das normal wird. Es gibt in Österreich eine wirtschaftsgeschichtliche Tradition, die sehr stark auf Arbeitnehmerinteressen Rücksicht nimmt. Das trägt dazu bei, dass die Unternehmer hierzulande relativ stark sozial engagiert sind. Natürlich müssen Unternehmer immer unternehmerisch denken. Der wirtschaftliche Erfolg ist auch wichtig, aber er darf nicht zum Diktat werden.

STANDARD: Der Markt schafft aber an.

Michael Landau: Der Markt ist wahrscheinlich die klügste Institution zur Ermittlung von Bedürfnissen, und Wettbewerb ist ein nützliches Instrument zum Leistungsanreiz. Aber der Markt regelt nicht alles, Gerechtigkeit ist nicht sein automatisches Ergebnis. Er bedarf daher einer Ordnung.

STANDARD: Gerechtigkeit gibt es nicht - sagen viele Juristen.

Daniel Landau: Daher gibt es ja auch den gerechten Lohn nicht. Ich glaube sowieso, dass wir zutiefst unglücklich werden, wenn wir uns ständig nach dem Tellerrand des anderen umsehen, um zu schauen, was der hat , was wir nicht haben. Das sollten wir uns abgewöhnen.

Michael Landau: Norbert Blüm hat einmal gesagt, der "homo calculator" sei eine Karikatur des Menschen, weil keiner es aushält, ständig seinen Vorteil auszurechnen. Als Kirchenmann sage ich so: Menschsein ist mehr, als Konsument und Produzent zu sein. Zu uns kommen immer wieder Manager aus der Wirtschaft, die bei der Caritas arbeiten wollen, weil sie spüren, das kann doch nicht alles gewesen sein.

STANDARD: Psychiater Reinhard Haller sagt, das Gros der Manager sei auffällig, egomanisch, narzisstisch ...

Daniel Landau: ... sagt man über Dirigenten auch. Dinge die man leitet, muss man leiten wollen. Aber irgendwann muss man aus der Rolle wieder raus.

STANDARD: Die meisten schaffen das erst, wenn sie ihren Job verlieren oder den ersten Herzinfarkt haben. Da lernen sie dann Demut.

Michael Landau: Ich sehe das nicht so negativ, kenne viele anständige Menschen. Und Demut hat sowieso nicht gerade Konjunktur in unserer Gesellschaft. Ich rede lieber von einer Haltung des Realismus, am Ende unseres Lebens werden wir wahrscheinlich nicht vor der Frage stehen, welches Gehalt, Prestige oder Dienstauto wir hatten, sondern ob wir für einander da waren.

Daniel Landau: In der Wirtschaft ist die Gefahr groß, dass man vergisst, dass man nicht allmächtig ist.

STANDARD: Wie gehen Manager denn mit Gewissenskonflikten um? Kommen sie beichten?

Michael Landau: Dafür gibt es keine Rezepte. Es gibt überhaupt für nichts Rezepte im Leben. Wenn es gelingt, solche Fragen, diese Unruhe in sich wach zu halten, ist schon einiges gelungen.

STANDARD: Letzte Frage: Worum geht es im Leben?

Daniel Landau: Darum, dass wir andere und uns glücklich machen.

Michael Landau: Darum, an der Stelle, an der man steht, die Welt ein Stückchen schöner, heller, fröhlicher und menschenfreundlicher zurückzulassen als man sie vorgefunden hat. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20./21.1.2007)