Gerold Späth:
"Aufzeichnungen eines Fischers (das erste Jahr)"
€ 21,10 / 272 Seiten. Lenos Verlag, Basel

Buchcover: Lenos Verlag
In den vergangenen fünfzehn Jahren hatte der Schweizer Autor Gerold Späth wenig Glück mit größeren Verlagshäusern. Im Zorn von S. Fischer geschieden, zu Suhrkamp gewechselt. Es erschienen zwei Bücher, die im Hause Unseld wie Fremdkörper wirkten. Schneller Abschied. Dann ein Versuch mit dem Göttinger Verlag Steidl. Es erschienen ein schmales Buch plus Nachdrucke älterer Romane. Schneller Abschied.

Nun springt der 1939 geborene Rapperswiler Sprachartist mit Aplomb zurück in die literarische Arena. Sein neuer Roman, mit dem eine Kooperation mit dem kleinen Lenos Verlag in Basel beginnt, ist verspielter, ungebärdiger, ausgefeilter, überschäumender und zugleich entspannter denn je zuvor.

Späth, der einer Orgelbauerfamilie entstammt, zählte in den 1970erund 1980er-Jahren zu den ungewöhnlichsten, aufregendsten, sprach- und fantasiemächtigsten Autoren. In umfänglichen, ausgelassenen Romanen wie Balzapf, Commedia und Sindbandland zog er damals schon sämtliche Register saftigsten Stils und übermütigen Wortspiellautmalklanges.

Das neue Buch ist wieder angesiedelt im fiktiven Barbarswila am Zürichsee, dem altvertrauten Späthschen Mikrokosmos. "Der Wind steht still, die Bucht liegt flach, der Regen macht Wassertrichter. An meiner Schnur läuft eine Tropfenprozession schräg in den See hinab. Weit und breit eine Art hörbare Stille. Am Ufer ein etwas in die Jahre gekommener Knabe hinter seiner Fischerrute ..."

Es ist Jeannot, fast vierzig Jahre lang Disponent und Korrespondent einer Feinspinnerei-Zwirnerei, danach "statt ins arbeitslose Jammertal auf den See ausgewichen. Spätberufener Netzfischer. Jetzt aber nur noch hobbymässig". Dieser Jeannot beginnt Mitte Dezember ein Schreibheft, das er ein Jahr lang führt. In das er einträgt, was er beobachtet, amUfer und im Gasthaus, was Freunde, seine Frau, seine Tochter und die Verwandten erzählen, was ihnen widerfährt. In das Carnet finden Gedanken, immer mehr und immer wildere Geschichten Eingang, aus Barbarswila wie aus Westirland, wo Jeannot und seine Frau zwei Monate im eigenen Häuschen verbringen.Vor allem aber sind es Erinnerungen, die auftauchen, zahlreiche Erinnerungen an früher, die "wie Möwen im Winter (sind): man wirft unten an der Bucht altbackene Brotbrocken in die Luft; schon kreischen sie in weissen Scharen von weiss nicht wo daher, man weiss kaum wie wehren ...

Giftiger Sarkasmus und böses Hohnlachen auf und über die Provinz und die Provinzler sind bei Gerold Späth mittlerweile abgemildert. Doch die Idylle täuscht. Es wird gestorben und gezeugt und bramarbasiert, es werden Lügengeschichten aufgetischt, und ökonomische Unsicherheiten schimmern unübersehbar in die Alltagsexistenz hinein. In Barbarswila wird den Todsünden gleichermaßen nachhaltig gehuldigt wie den Tugenden.

Über all dem Rapportierten, den Schnurrpfeifereien und den Wortspielen, den pittoresken Figuren und den farbigen Naturschilderungen keineswegs zu ignorieren ist dasHandwerkliche.

Das Fischen dient als Generalmotiv, durch Abbildungen hervorgehoben wie extensiv beschreiben, als überlegte Tätigkeit der Hand. So wie das Schreiben, das Welt-Erfinden via Sprache. Denn vor allem eines ist dieser Roman: ein Sprachkunstwerk. Bei Späth werden die Wörter gequetscht, geschoben, neobarock erfunden. Aus ihnen wird unerhört Neues herausgekitzelt.

Auf dass sie jubilieren, explodieren, die Sätze biegsam werden, ins Singen, Schwingen und schwerelose Fliegen kommen. Er verschmilzt die Umgangssprache hinreißend gekonnt mit Dialektalem, mit der literarischen Tradition der Moderne, Autoren wie Arno Schmidt, William Gaddis oder Flann O’Brien, wie mit einer tiefer reichenden Tradition, die über Jean Paul bis zum frühbarocken Innovator Johann Fischart reicht.

Der hatte einst seine Affentheurlich Naupengeheurliche Geschichtsklitterung (1575/1590) so eröffnet: "An alle Klugkröpffige Nebelverkappte / NebelNebuloner, Witzersauffte / Gurgelhandthirer vnd ungepalirte / Sinnversauerte Windmüllerische / Dürstaller oder Pantagruelisten". Womit man wieder mit Jeannot und weiteren sanften Pantagruelisten am Seeufer von Barbarswila steht, einem nur an der Oberfläche harmlosen Ort, ein aufregender Locus amoenus der Gegenwartsliteratur. (Alexander Kluy/ ALBUM/ DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.1.2007)