Noch am Freitag hatte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel ihrem Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) das Vertrauen ausgesprochen. Doch mittlerweile sitzt Steinmeier, der während der rot-grünen Regierungszeit als Chef des Kanzleramtes auch für die Koordination der Geheimdienste tätig war, möglicherweise nicht mehr ganz so fest im Sattel. Denn im Fall des "Bremer Taliban" Murat Kurnaz gibt es neue, schwere Vorwürfe.

Aktive Verzögerung

Sowohl die Süddeutsche Zeitung als auch die ARD berichten, dass die rot-grüne Regierung die Freilassung von Kurnaz aus dem US-Gefangenenlager Guantánamo, wo Kurnaz zwischen 2002 und 2006 saß, nicht nur durch Passivität verhindert, sondern sogar aktiv zu verzögern versucht hat. Beide Medien berufen sich auf einen Vermerk des Auswärtigen Amtes vom 26. Oktober 2005. Darin sei notiert worden, dass die rot-grüne Regierung in ihren letzten Tagen vor der Amtsübergabe an Merkel noch versucht habe, einen Terrorverdacht gegen den in Bremen geborenen Türken zu konstruieren. Kurnaz war 2001 in Pakistan, wo er eine Koranschule besuchen wollte, verhaftet und anschließend von Kopfgeldjägern an die USA übergeben worden.

Da Steinmeier gegen eine Wiedereinreise von Kurnaz gewesen sei, hätten deutsche Sicherheitsbehörden eine Anfrage an die USA gestellt, um weitere Informationen gegen Kurnaz zu bekommen, die den Verdacht erhärteten, Kurnaz unterstütze den internationalen islamistischen Terror. Die USA waren damals aber schon von der Unschuld Kurnaz' überzeugt und hatten den Deutschen die Freilassung des heute 24-Jährigen angeboten. Laut Medienberichten war die im Jahr 2002 angebotene Überstellung nach Deutschland an Bedingungen geknüpft: Die Deutschen hätten Kurnaz rund um die Uhr überwachen müssen.

Außenminister sagt aus

In der Bild-Zeitung wird ein damals involvierter SPD-Politiker mit dieser Begründung zitiert: "Die Regierung wollte sich nicht jemanden ans Bein binden, der keinen deutschen Pass, sondern einen türkischen Pass hatte und der aus US-Sicht immerhin so gefährlich war, dass er 24 Stunden am Tag zu beobachten ist." Für Wolfgang Neskovic von der Linkspartei wäre diese Hürde durchaus überwindbar gewesen. Wie die FDP meint auch die Linkspartei, wenn Steinmeier keine gute Erklärung vorbringen könne, dürfe er nicht länger im Amt bleiben.

Zwar sei es für konkrete Vorwürfe gegen Steinmeier noch zu früh, sagt Siegfried Kauder (CDU), Chef des Untersuchungsausschusses, der den Fall Kurnaz beleuchtet. Doch auch er erklärt, sollten sich die Anschuldigungen bewahrheiten, "dann kann das nicht ohne Konsequenzen bleiben". Steinmeier ist bereit, bald vor dem Ausschuss aussagen. Zunächst aber will er eine neuerliche Aussage von Kurnaz abwarten. (Birgit Baumann aus Berlin, DER STANDARD, Printausgabe 22.1.2007)