Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war nach der letzten Stadtgeschichte. Weil sich da unter den öffentlichen Postern kurz eine Diskussion anbahnte, die in jenen Kommentaren, die nicht öffentlich abgesetzt worden waren, schon nach der ersten Hundegeschichte der letzten Woche begonnen hatte. Und als A. dann beim Wochenend-Gassigehen mit S. und P. feststellte, dass die um das, was in Wien "Hundezone" heißt einen mindestens ebenso großen Bogen machen, wie A. und unser Hund (wobei mir noch immer nicht klar ist, wer da stärker wegzieht), hatte ich so was wie eine Forderung vor mir liegen.

Gewünscht wird so was wie ein Kack-Kataster. Ein Plan der am schlimmsten, rücksichts- und hemmungslosest zugeschissenen Gassen und Plätze Wien. Ein Konvolut des Kotes, eine Enzyklika des Ekels. Ein Dossier des Durchfalls. Ein Carnet canider Kacke also. Ein Ausscheidungs-Atlas – oder wie auch immer man eine solche Sammlung des Ungustiösen nennen will.

Anflegelei

Auch, weil es, wie A. sagte, überall dort, wo man selbst nicht Reinsteigen muss (oder mit Kinderwagen oder Rollstuhl gänzlich chancenlos ist), besser ist. Und sie – nicht zuletzt zum Selbstschutz vor in der Sache ja verständlichen, aber eben doch grob ungerecht pauschalen Anti-Hund Anflegeleien durch genervte Anrainer, Geschäftsbetreiber und andere Opfer urban-öffentlicher Defäkation – außerdem wissen will, welche Gassen & Ecken sie mit und ohne Hund besser meidet.

So wie das, was sich innerstädtische "Hundezone" nennt. Aber in diese Minenfelder bekäme man unseren Hund ja sowieso nur unter Androhung von Prügel rein. So sexy ist es halt auch nicht, sich beim Balgen mit anderen Kötern in der Kacke zu wälzen – aber wer glaubt, der entgeistertste Blick der Welt sei jener, den ein Hundebesitzer ins Gesicht bekommt, wenn man ihn im zivilen Gehsteigleben bittet, das Gesetz zu befolgen, hat noch nie erlebt, was passiert, wenn man in einer Hundezone erwähnt, dass doch eigentlich auch hier ... genauso wie doch eigentlich im Rinnsaal ... oder im Park in der Wiese. Geschenkt.

Neudeggergasse?

Aber zurück zur Posting- & Freundeskreisanfrage. Der nach der hoffnungslos verschissensten Gasse der Stadt. Neudeggergasse, sagte ich beim ersten Brainstorming ohne zu überlegen – und erntete Hohngelächter: Die Nennung sei symptomatisch, hieß es. Klassisch subjketiv und total unrecherchiert. Sicher, wurde mir zugestanden, ich hatte ja vor 1000 Jahren ein paar Monate in dem kleinen Gasserl gewohnt. Und dort eine Ausbildung im Spitzentanz gemacht. Aber was hieße das schon? Um eine "worst of..." Aussage zu treffen, wurde ich gerügt, müsse ich schon zumindest versuchen, objektiv zu eruieren, ob es nicht anderswo gleich grässlich sei. Und so weiter. Dann kamen etwa 15 andere Gassennamen.

Ich gab klein bei und stimmte zu. Und wunderte mich erst später, dass niemandem die zeitliche Komponente als Gegenargument benutzt hatte. In der Gasse hatte ich Anfang der 90er gewohnt. Das wussten alle hier – aber dennoch mutmaßte niemand dass, sich der Verkotungsgrad einer Josefstädter Nebengasse binnen 15 Jahren zum Positiven geändert haben könnte. Ein Produkt der Ignoranz der Referenzgruppe – oder doch das ihrer langjährigen Stadterfahrung?

Markierungen

Dieser Aufruf, merkte P. dann noch an, sei im Übrigen ja auch nicht der erste Versuch, einer Kackdatenerhebung: Rund um einen Neubauer Platz habe schließlich einst Wiens selbsternannte "Stadtpsychologin" Scheiße mit kleinen Fähnchen markiert – und ein schönes Flaggenmeer zusammenbekommen. Die Aktion wurde mittlerweile von mehreren Initiativen öfters wiederholt. Stets mit dem selben ekligen, aber nicht dauerhaft sichtbaren, Ergebnis.

Aber ich habe auch schon längerfristige Markierungen des urbanen Ungemachs gesehen: In Berlin, am Käthe Kollwitz Platz. Dort machte sich in den mittleren 90er-Jahren irgendjemand die Mühe, Hundescheiße am Boden mit Signalfarbe zu besprühen und ihre Umrisse –ähnlich einer Tatortzeichnung – am Boden zu markieren. Ich kam damals ein dreiviertel Jahr lang etwa alle 14 Tage für ein paar Tage nach Prenzlau. Aber schon nach drei Monaten war der Gehsteig fast durchgehend leuchtgelb und knallorange. Trotzdem: das, was da auf der Straße lag, war in Wiener Dimensionen kaum der Rede wert.