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Urlaubsträume, Fernweh, Sehnsucht nach Exotik: All diese Gefühle werden oft auch auf die BewohnerInnen des Urlaubslandes übertragen - selbst, wenn diese mit solchen romantischen Vorstellungen gar nichts zu tun haben

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Christa Markom ist Lektorin am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Uni Wien. Zu ihren Forschungsschwerpunkte zählen die Anthropologie der Migration, Feministische Theorie und Rassismustheorie

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Afrikanische Männer sind "potenter", afrikanische Frauen "leidenschaftlicher", und zusammen haben sie den "Rhythmus im Blut": Klischees wie diese sind auf den ersten Blick zwar positiv gemeint, sie könnten aber leicht in Abwertungen umschlagen, wie die Wiener Kultur- und Sozialanthropologin Christa Markom im E-Mail-Interview mit Maria Sterkl erklärt.

 

derStandard.at: Bikulturelle Paare sehen sich häufig mit Vorurteilen konfrontiert: Frauen wird unterstellt, sie wollten einen – sexuell potenten – Macho, bei Männern heißt es, sie suchten wenig emanzipierte "Weibchen". Woher kommen diese Klischees?

Markom: Man muss hier regional unterscheiden. Die Entwicklung des Klischees vom potenten "afrikanischen Mann" verlief völlig anders als das der "asiatischen Frau" als willig; und bei südamerikanischen und afrikanischen Frauen bestehen wieder völlig andere Zuschreibungen. Es handelt sich hier häufig um Exotismus - ein Phänomen, das auch eine geschlechterspezifische Rollenzuweisung erfährt. Differenzierungen sind hier sehr wichtig.

derStandard.at: Was ist Exotismus?

Markom: Exotismus beschreibt eine Form der Abgrenzung "des Eigenen" vom (angeblich) "Fremden", das sich in sozialer oder geographischer Ferne befindet - insbesondere "fremde" Frauen oder "andere Körper". Exotisierende Menschen haben eine Faszination an der "Andersartigkeit", welche eng verbunden ist mit einer Kritik der eigenen Gesellschaft. Ein Aspekt des Exotismus ist auch die der Vereinnahmung einzelner, idealisierter Elemente "des Anderen" - man führt sich die zugeschriebenen Eigenschaften selbst zu.

derStandard.at: Was ist der Unterschied zwischen Exotismus und "positivem Rassismus"?

Markom: Von positivem Rassismus würde ich nicht sprechen. Rassismus ist die Zuschreibung von negativen Eigenschaften aufgrund von wirklichen oder zugeschriebenen Merkmalen einer Kultur. Exotismus und Rassismus beruhen in mancher Hinsicht auf den gleichen Mechanismen: Man sieht das Eigene und das "Fremde" als jeweils einheitlich, ohne Differenzen. In beiden Ideologien werden von einer Gruppe, meist der mächtigeren, Eigenschaften zugeschrieben.

Es geht vor allem darum, das "Eigene" scharf vom "Anderen" abzugrenzen. Im Fall von Rassismus sind die Zuschreibungen klar negativ, beim Exotismus positiv oder idealisierend - auf den ersten Blick. Denn auch exotisierende Aussagen können leicht in eine Abwertung umschlagen. So wird in der Vorstellung vom "sexuell potenten Afrikaner" leicht der Triebtäter; dem "edlen Apatschen" wird der "grausame Sioux" oder der "feige Kiowa" gegenübergestellt und so weiter. Die Zuschreibungen der EuropäerInnen, die sie auch nur von ihrem Blickwinkel aus treffen, waren und sind eben oft auf den zweiten Blick sehr wohl diskriminierend, denn sie kippen sehr schnell. Die idyllische Einfachheit und Anspruchslosigkeit wurde Primitivität, aus "Unschuld" und "Unvoreingenommenheit" wurde "Dummheit"; oder "Faulheit".

derStandard.at: Wieso unterscheiden sich die Klischees so sehr nach Geschlecht?

Markom: Eine große Rolle spielt hier die Vorstellung, dass "Frau" und "Natur" eine Einheit seien. Mit der Neuzeit und den ersten so genannten Entdeckungsreisen begann sich die Vorstellung von Frauen und auch von Natur zu verändern: Den Frauen wurden dann immer stärker Begriffe wie Natur, Sexualität und Triebhaftigkeit zugeschrieben, den Männern hingegen Kultur, Vernunft und Zivilisation. Gleichzeitig wurde der Natur-Sexualitäts-Triebhaftigkeitspart auch dem "Fremden" zugeschrieben. Die damaligen Bilder über die naturverbundene, ungezügelte, "orientalische" Frau finden sich heute in vielen Filmen oder Reisekatalogen wieder.

derStandard.at: Wie werden Exotismen gefördert?

Markom: Früher waren Reiseberichte wichtig, heute sind es vor allem Werbung und Massenmedien. Die Medien bedienen sich exotistischer Mittel, um Spannungen zu unterstützen. Das Fremde wird über Polarisierung als "völlig anders" konstruiert. Man kann davon ausgehen, dass diese Darstellungen immer auch einen Zusammenhang mit realen Machtstrukturen haben, und nur so können solche Klischees auch zur Fortschreibung dieser Machtsstrukturen verwendet und instrumentalisiert werden. Stereotypien dieser Art können dazu führen, dass eine Gruppe benachteiligt wird.

derStandard.at: Inwieweit wird das auch bereits im Schulunterricht oder in Schulbüchern vermittelt?

Markom: In manchen Schulbüchern findet sich vor allem die Darstellung von "Primitiven" in anderen Kulturen, die als weniger entwickelt dargestellt werden. So ist beispielsweise von glücklichen "Naturvölkern" und Steinzeitmenschen die Rede. Wichtiger als die Frage "Indianer, musst du sterben?", wäre es, auf Unterdrückungsstrukturen wie das Welthandelssystem und seine Auswirkungen hinzuweisen. In einigen Büchern passiert das auch schon gut, doch in anderen bleibt die Auseinandersetzung auf der Oberfläche.

derStandard.at: Welche Rolle spielt der Tourismus?

Markom: Fernreisekataloge operieren gezielt mit Exotismen - und die Tendenz von TouristInnen, die Authentizität in den bereisten Ländern zu suchen, ist beeinflusst von Stereotypen. Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, werden diese "authentischen Bilder" oft im Tourismusland speziell für TouristInnen erzeugt – sei es über künstliche Paradiese oder inszenierte Folklore. Mitgedacht werden muss allerdings, dass lokale Gesellschaften nicht unbedingt nur Opfer dieser Strategien sind - der Exotismus kann auch eine bewusste Strategie sein.

derStandard.at: Ist dann eigentlich jedes Interesse für das Fremde und Exotische gleich exotistisch und damit abzulehnen?

Markom: Nein, Interesse ist etwas Positives. Problematisch wird das Interesse am "Anderen", wenn durch die klare Abgrenzung Verallgemeinerungen entstehen und angeblich "natürlich" vorhandene Eigenschaften zugeschrieben werden. Es werden dann Gruppen gebildet, die sich selbst nicht als solche sehen und die werden dann auch noch als natürlich zusammengehörig gesehen. Ein Beispiel: Nur aufgrund der Hautfarbe sind keineswegs alle Afrikaner gleich – und noch viel weniger haben alle "Rhythmus im Blut". Gemeinsamkeiten und Unterschiede der Geschichte, der Nationen, der Religion, der Geschlechter, der ökonomischen Situation und andere müssen hier berücksichtigt werden. (derStandard.at, 6.2.2007)