Kann ein Bürger nach einem Verkehrsunfall im Ausland in Österreich klagen, oder muss er auch in Zukunft weiterhin mit einem ausländischen Anwalt vor ein ausländisches Gericht ziehen, wo er es als Ausländer schwer hat? Diese Frage ist seit einigen Monaten wieder heftig umstritten und sollte bald vom Europäischen Gerichtshof geklärt werden.

Wer einmal im Ausland _einen Verkehrsunfall hatte, weiß, wie schwierig es sein kann, Schadenersatz zu er_halten. Die Versicherungswirtschaft hat durch die Schaffung und Weiterentwicklung des Grüne-Karte-Systems in Europa vieles verbessert. Die EU hat mit mehreren Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinien diese Bemühungen gefördert und rechtlich abgesichert.

Mit der 4. Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie konnte sich der europäische Gesetzgeber nicht dazu durchringen, dem Geschädigten die Möglichkeit zu geben, im Inland vor Gericht zu ziehen und seinen Schaden einzuklagen. Österreichische und deutsche Gerichte sowie die meisten Rechtsgelehrten waren sich einig: Alle Vorschriften ermöglichen und vereinfachen die außergerichtliche, friedliche Regulierung von Schadenersatzforderungen; die streitige Austragung vor Gericht musste aber nach bisherigem Recht entweder vor dem Gericht am Unfallort oder im Heimatland des Schädigers ausgetragen werden, wie das auch bei allen anderen Schadenersatzansprüchen der Fall ist.

Nun hat die jüngste 5. Kfz-Haftpflichtversicherungsrichtlinie eine spannende Situation geschaffen. Die Richtlinie geht in den einleitenden Erwägungsgründen ausdrücklich davon aus, dass es dieses Klagerecht des Geschädigten zu Hause schon längst gibt, weil ja der Geschädigte den Gerichtsstand in Anspruch nehmen kann, der schon bisher dem Begünstigten eines Versicherungsvertrages – dem Versicherten oder dem Versicherungsnehmer – zustand.

Unruhe in Österreich

Für österreichische und deutsche Gerichte war das eine überraschende Nachricht, hatten sie doch diese Auffassung bisher einhellig abgelehnt, weil der Geschädigte keinen Vertrag mit der Versicherung des Unfallgegners hat. Die Unruhe, die diese Mitteilung einer Rechtsauffassung in den Erwägungsgründen einer EU-Richtlinie ausgelöst hat, ist fühlbar.

In Deutschland wurde die Frage von den Gerichten unterschiedlich behandelt. Hatte das Oberlandesgericht Köln in einer in Juristenkreisen allgemein bekannten Entscheidung noch ausgeführt, dass die Richtlinie das bisherige Recht neu auslegt und die Gerichte daher die Klage im Inland zulassen müssen, entschied kurz darauf das Landgericht Hamburg gegenteilig. In Österreich hat das Oberlandesgericht Wien seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben und die Klage im Inland zugelassen – allerdings auch den Rechtszug an den Obersten Gerichtshof. Dort muss jetzt entschieden werden, ob die bisherige Rechtsprechung – kein klägerischer Gerichtsstand – bestätigt wird, inhaltlich dem Oberlandesgericht Köln gefolgt wird oder die Frage, wie denn EU-Recht jetzt auszulegen ist, dem EuGH zur Vorabentscheidung vorgelegt wird. Der deutsche Bundes_gerichtshof hat sich inzwischen zur Vorlage vor dem EuGH entschieden.

Die Entscheidung der EU-Richter wird in vieler Hinsicht spannend sein. Zum einen stellt sich die Frage, ob es dem europäischen Gesetzgeber zukommt, ein früheres Gesetz bindend auszulegen, weil die Auslegung des Gesetzes eigentlich die Aufgabe der Gerichte ist. Zum anderen würde ein Bruch mit dem bisherigen Prinzip, dass die Klage dort einzubringen ist, wo der Beklagte wohnt oder der Schaden eingetreten ist, auch für viele andere Rechtsbereiche Verunsicherung und Diskussion über eine gänzliche Neuregelung auslösen. (Michael Böhme, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23.1.2007)