Nach dem Gerichtsurteil zum Pflegefall im Hause Schüssel zieht der Verfasser des Standard-Leserbriefes, der den Stein damals ins Rollen brachte, ein - desillusioniertes - Resümee.

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Anfang letzter Woche hat das Landesgericht in Wien - nicht rechtskräftig - eine 52-jährige Hausfrau zu 200 Euro Strafe verurteilt, weil sie sich als slowakische Pflegerin ausgegeben und der Familie des damaligen Bundeskanzlers Wolfgang Schüssel ein illegales Beschäftigungsverhältnis unterstellt hatte. Sie konnte in diese Rolle schlüpfen, weil die richtige Pflegerin namens Martina nicht nur bei der Familie Schüssel, sondern auch in ihrer eigenen Familie tätig war.

Dieser Prozess erbrachte interessante Einblicke über das Leben und die Denkweise der oberen Zehntausend. Die Zeugenaussagen der Schüssel-Familie könnte man mit dem Satz zusammen fassen: Mein Name ist Schüssel, ich weiß von nichts! Selbst auf der Homepage jenes Vereins, über den die Schüssel-Familie die illegalen Pflegerinnen organisierte, ist davon die Rede, dass diese Art von Pflege in einem "Graubereich" stattfindet.

Bei der Frau des damaligen Bundeskanzlers und dessen Schwägerin weckte es keinen Verdacht auf Illegalität, dass die diplomierten Krankenschwestern, welche die pflegebedürftige Mutter rund um die Uhr versorgten, extra aus der Slowakei anreisten und - wie es hieß - "ehrenamtlich" tätig waren. Es weckte auch keinen Verdacht auf Illegalität, dass den Pflegerinnen bloß "ein Taschengeld" in der Höhe von rund zwei Euro pro Stunde bar in die Hand gedrückt wurde.

Bei Gericht kam es aber noch dicker: Die Richterin begründete das Urteil auch damit, dass es ehrenrührig sei, der Familie Schüssel vorzuwerfen, sie habe die Pflegerinnen weit unter dem österreichischen Lohnniveau bezahlt. Das ist unter anderem der Grund, warum die verurteilte falsche Pflegerin sofort Berufung einlegte. Offenbar findet die Richterin eine Bezahlung von rund zwei Euro pro Stunde für die Arbeit diplomierter Krankenpflegerinnen vollkommen in Ordnung. Angesichts einer solchen Einstellung bräuchten sich die Studenten mit ihren sechs Euro Stundenlohn für Sozialarbeit nicht weiter aufregen.

Österreich hat bei der letzten EU-Erweiterung im Jahr 2004 gesetzlich festgelegt, dass slowakische und tschechische Staatsbürger bis 2011 nur mit spezieller Genehmigung des Arbeitsmarktservice (AMS) beschäftigt werden dürfen, und nur mit einer Entlohnung, die nicht schlechter ist als die von Inländern. Slowakische Pflegerinnen, die nicht über eine solche Genehmigung verfügen, gelten deshalb als illegal. Genau aus diesem Grund wurden österreichische Familien von den Behörden verfolgt und mit Geldstrafen bis 6000 Euro belegt.

Trotz alledem stellte am Ende der Verhandlung der Anwalt der Schüssel-Familie in Abrede, dass die Beschäftigung illegal gewesen sei. Ein normaler Staatsbürger muss sich da fragen: Gibt es in Österreich zwei verschiedene Arten von Gesetzen? Eins für Normalbürger und eins für die oberen Zehntausend? Weshalb wurde vom damaligen Bundeskanzler Schüssel eine Amnestie für die Beschäftigung illegaler Pflegerinnen vorgeschlagen und von der neuen Regierung auch beschlossen, wenn ohnedies alles legal war?

Da fällt einem nur ein Spruch ein, der vor vielen Jahren in deutschen Anarchokreisen gang und gäbe war: Legal, illegal, scheißegal. Am Ende scheint Ex-Bundeskanzler Wolfgang Schüssel Recht zu behalten. Pflegenotstand? Gibt's nicht und gab's nicht! Schluss! Ende der Debatte!

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Hans Weiss lebt als Sachbuchautor und Schriftsteller in Wien. (DER STANDARD, Printausgabe, 23.1.2007)