Mag. DDr. Wolfgang Maurer ist Biochemiker und Facharzt für Labordiagnostik. Der gebürtige Oberösterreicher bezeichnet sich selbst als Impfkritiker und hat bis 1998 in seiner Funktion als Leiter des Serumprüfungsinstituts die Zulassung vieler Impfstoffe in Österreich verhindert. Er ist zuständig für das Impfwesen an der Wiener Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde. Maurer ist verheiratet und hat zwei Kinder.

Foto: Maurer
derStandard.at: Die Zahl der in Österreich empfohlenen Impfungen für Kinder steigt stetig. Wie viele Impfungen verträgt ein kindlicher Organismus?

Maurer: Theoretisch ist dem eigentlich keine Grenze gesetzt. Das Immunsystem ist ab der Geburt so beschaffen, dass es mit der normalen Keimbelastung der Umgebung fertig wird, denn das Kind wird ja aus einer sterilen Umgebung in eine belebte Umgebung hineingeboren. Das Immunsystem bildet Antikörper bei jedem Kontakt mit diesen sogenannten Antigenen.

Wir sind täglich mit Millionen von Antigenen konfrontiert, das gesamte Impfprogramm für Kinder enthält dagegen weniger als 200 Antigene. Die Angst vieler Eltern vor der hohen Anzahl an Antigenen in Impfstoffen ist also unbegründet. Im Prinzip ist es dem Immunsystem möglich auf viele Millionen Fremdstoffe schützend zu reagieren, sonst würde es uns gar nicht geben.

Das eigentliche Problem ist eher ein kulturelles. In den USA beispielsweise werden bei Routineimpfungen pro Sitzung fünf Injektionen gemacht. Das wäre bei uns nicht möglich, denn mehr als zwei Stiche werden pro Arztbesuch nicht akzeptiert. Darum verwendet man bei uns Kombinationsimpfstoffe, wie den Sechsfachimpfstoff. Aber es stimmt, das Impfprogramm ist bereits relativ engmaschig.

derStandard.at: Machen Impfungen nicht gerade für anfällige beziehungsweise chronisch kranke Kinder Sinn? Mit Hilfe einer Impfung könnte man sie so vor einer Grippe schützen?

Maurer: Gesunde Kleinkinder erkranken nicht nur häufiger an einer Influenza als Erwachsene, sie werden auch genauso oft hospitalisiert, wie beispielsweise die Hochrisikogruppe der Senoiren. In den USA gibt es seit 2007 die Empfehlung Kinder im Alter von sechs Monaten bis 59 Monaten gegen Influenza zu impfen. In Österreich wird empfohlen, chronisch kranke Kinder zu impfen oder wenn der ausdrückliche Elternwunsch besteht. Das Problem der Influenza ist, sie kann Folgeerkrankungen wie eine Lungenentzündung triggern. Das muss man natürlich vermeiden. Die Influenzaimpfung ist wirksam und gut verträglich. Wenn ein Kind an Influenza stirbt, verliert es vielleicht 90 Jahre seines Lebens.

derStandard.at: Ist man in Österreich als Arzt verpflichtet sämtliche Impfungen, die derzeit für Kinder angeboten werden, den Eltern auch anzuraten?

Maurer: Der Impfplan entspricht dem neuesten Stand der Wissenschaft und jeder Arzt ist gemäß Ärztegesetz verpflichtet nach diesem zu arbeiten. Das ist auch logisch, denn angenommen Sie kommen mit einem gebrochenen Fuß zu mir und ich wickle Ihnen ihr Bein mit Huflattichblättern ein, die ich zuvor vier Wochen in Granderwasser eingelegt habe, lege sie dann auf eine Magnetfeldmatte und mache ihnen zweimal täglich eine Bioresonanz, dann habe ich als Arzt ein Problem mit dem Ärztegesetz. Es ist daher nicht zulässig generell von Impfungen abzuraten. Ein Arzt der aktiv vom Impfen abrät, ist medizinisch inkompetent.

derStandard.at: In Österreich ist Impfen nicht verpflichtend und trotzdem fühlt man sich mehr oder weniger dazu verpflichtet. Ist der Druck von Außen zu groß?

Maurer: Es gibt auch die Schulpflicht für Kinder. Dieser kann man sich auch nicht entziehen. Jedes Kind ist an das volle Schulprogramm gebunden. Ich plädiere vor allem für das Recht der Kinder auf bestmögliche Gesundheit und einen medizinischen Standard. Die Eltern müssen dem Kind das Recht auf Impfschutz ermöglichen. Die Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen besagt: Routineimpfungen von Kindern sind notwendig um das Recht von Kindern auf Gesundheit zu gewährleisten.

derStandard.at: Warum ist es dann für Eltern so schwer das Richtige zu tun?

Maurer: Ein Grund ist, dass Impfungen so erfolgreich sind. Keiner kennt mehr ein Kind, das an Masern gestorben ist. Dazu sind Masern zu selten geworden. Der Infektionsdruck ist so gering, dass die Leute die Erkrankung nicht mehr kennen, sonst würden sie nämlich impfen. Darum werden Schmerzen, Schwellungen oder Rötungen nach Impfungen immer dramatisiert.

Diese Impfreaktionen gibt es, aber sie sind eine Kleinigkeit im Vergleich zur Erkrankung. Kinder, die nicht geimpft werden sind potentielle kleine vielgeliebte Bioterroristen, denn sie sind für sich und andere eine Infektionsquelle. Die soziale Verantwortung bei Impfungen ist sehr wichtig.

Eine Durchimpfung der Bevölkerung führt zur Herdenimmunität und damit sind auch die geschützt, die nicht geimpft werden können oder ihre Immunität verloren haben, wie beispielsweise transplantierte Kinder. Es kann ja nicht sein, dass es in Entwicklungsländern mitunter weniger Masernfälle gibt als in Österreich.

derStandard.at: Warum wird eine HPV-Impfung (Humanes Papilloma Virus) bei Kindern empfohlen? Tritt Gebärmutterhalskrebs denn schon im Kindesalter auf?

Maurer: Gebärmutterhalskrebs tritt nur bei Frauen auf, der Impfstoff wirkt aber auch gegen Genitalwarzen. Und die gibt es auch bei Buben, so wie es bei Buben - wenn auch seltener - HPV-verursachte Karzinome gibt. Die Buben sind die Infektionsträger. Die Frauen sind die Opfer, was die Karzinome betrifft. Es macht also durchaus Sinn auch die Buben zu impfen, denn zwei Drittel der 200 Zervixkarzinome pro Jahr ließen sich mit der Impfung vermeiden. Genitalwarzen könnte man sogar bis zu 90 Prozent vermeiden. Das Problem ist, dass Genitalwarzen ein Tabuthema sind. Jeder müsste in seinem Bekanntenkreis eigentlich jemanden mit Genitalwarzen kennen und keiner tut es.

derStandard.at: Es gibt unzählige Humane Papillomavieren. Gegen welche richtet sich die Impfung?

Maurer: Gegen die High-risk-Viren 16 und 18 und gegen die Low-risk-Viren 6 und 11. Die Hochrisikoviren machen das Karzinom. Die Low-Risk-Viren verursachen Genitalwarzen. Es ist kein perfekter Impfstoff aber 90 Prozent vermeiden, das schafft man mit kaum einem anderen Arzneimittel.

derStandard.at: Diese Impfungen müssen privat bezahlt werden. Wie relevant ist der Kostenfaktor?

Maurer: Die HPV-Impfung kostet im Apothekenabgabepreis 209 Euro pro Dosis. Drei Teilimpfungen braucht man und dazu kommt noch das Impfhonorar des Arztes. Derzeit gibt es halbes Jahr einen reduzierten Preis von 155 Euro pro Dosis. Das Problem in Österreich ist, dass sich keiner um die Finanzierung kümmert.

Die derzeit empfohlenen Impfungen von null bis zwölf Jahren kosten zirka 1650 Euro. Das sind im Monat nur zehn Euro. Würde man das Kindergeld um zehn Euro kürzen wären alle Basisimpfungen finanziert.

Das ist politisch unmöglich. Wir haben hier bereits eine Zweiklassenmedizin, denn die Menschen müssen das alles privat finanzieren und das kann sich natürlich nicht jeder leisten.

derStandard.at: Der Impfplan 2007 empfiehlt die Hepatitis A-Impfung für alle Kinder vor Eintritt in die Kindergärten. Hepatitis A ist eine akute Leberentzündung die meist komplikationslos ausheilt. Warum also impfen?

Maurer: Das stimmt. Die Hepatitis A heilt im Kindesalter fast immer komplikationslos aus, mit Ausnahme vom ersten Jahr. Da gibt es auch Todesfälle. Allerdings dürfen Kinder erst nach dem ersten Lebensjahr geimpft werden. Nur Kinder übertragen die Infektion und diese Verbreitung will man verhindern. Werden Erwachsene angesteckt, dann ist der Verlauf wesentlich schwerer.

derStandard.at: Rotavirusinfektionen sind zwar häufig, verlaufen in Österreich aber praktisch nie tödlich. Warum also impfen?

Maurer: Es gibt zwischen 3000 und 3500 Krankenhausaufenthalte mit der Einweisungsdiagnose Rotavirusinfektion pro Jahr. Und das bei einer Geburtenrate von ungefähr 75.000 Kindern. Die Frage ist, was will man mit einer Impfung generell verhindern? Todesfälle und Dauerschäden. Die Rotavirusimpfung verhindert jedoch weder Todesfälle noch Dauerschäden, weil es die nicht gibt. Sie verhindert aber die Erkrankung und genau die will man ja verhindern, denn fast jedes Kind erkrankt in den ersten zwei Lebensjahren an diesem unangenehmen Brechdurchfall.

Die Eltern fordern nach einer Impfung, denn die wollen nicht, dass es ihrem Kind schlecht geht. Besonders schlecht geht es aber Leuten die wenig Geld haben und sich die Impfung ganz einfach nicht leisten können. Deswegen müssen Impfungen öffentlich finanziert werden. 20.000 Krankenhaustage kosten auch viel Geld. Impfstoffe sind kostensparend. (Das Interview führte Regina Philipp)