Istanbul - Der unter dem Verdacht des Mordes am armenisch-türkischen Journalisten Hrant Dink stehende türkische Jugendliche Ogün S. ist von einem Gericht in Istanbul angeklagt worden. Er wurde in einem Istanbuler Gefängnis in U-Haft genommen. Der 16-jährige müsse außerdem wegen Fluchtgefahr in Untersuchungshaft, sagte der Anwalt Levent Yildrim am Mittwoch in Istanbul. Sein Mandant zeige - anders als in der Presse geschildert - Reue, betonte Yildrim. S. habe vor der Tat außerdem nicht die Auswirkungen seines Handelns erfasst. "Mein Mandant hat nicht alleine gehandelt, er wurde von jemandem angestiftet", fügte der Verteidiger hinzu.

Drohungen gegen Pamuk

Zusammen mit S. (Samast) erschienen am Mittwoch vier weitere Verdächtige vor Gericht. Einer der mutmaßlichen Drahtzieher, Yasin H. (Hayal), drohte dem türkischen Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk, als er dem Haftrichter vorgeführt wurde. "Orhan Pamuk soll bloß Vernunft annehmen", rief er laut einer Meldung der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu Ajansi. H. soll im Polizeiverhör zugegeben haben, S. zu dem Mord an Dink aufgestachelt und ihm auch die Tatwaffe besorgt zu haben. Auch ein Student namens Erhan T. soll mit H. in Verbindung gestanden sein und ihn zum Mord an Dink gedrängt haben.

Wie der auf offener Straße erschossene Dink ist auch Pamuk von türkischen Nationalisten angefeindet und wegen Äußerungen zum Massenmord an den Armeniern im Ersten Weltkrieg wegen "Beleidigung des Türkentums" angeklagt worden. Der Prozess gegen den Schriftsteller war Anfang vergangenen Jahres eingestellt worden.

"Günstiger" Anschlag auf McDonalds-Filiale

Türkische Zeitungen gaben am Mittwoch Aussagen des mutmaßlichen Drahtziehers Hayals wieder, der wegen eines Bombenanschlags auf ein McDonalds-Restaurant vorbestraft ist. "Das Ganze hat mich 500 Lira (rund 270 Euro) gekostet", soll er laut Zeitungsberichten im Verhör zugegeben haben. "250 Lira für die Pistole, 200 Lira habe ich Ogün gegeben, 50 Lira waren für kleinere Ausgaben."

Nach den Geständnissen der beiden Verdächtigen wurde in Trabzon (Trapezunt) am Schwarzen Meer ein 25-jähriger Student festgenommen, der einer nationalistischen Splitterpartei nahe gestanden haben soll. Türkische Zeitungen brachten am Mittwoch ein Foto, das ihn in zweiter Reihe hinter dem Vorsitzenden der Partei zeigt. In der westtürkischen Stadt Bursa nahm die Polizei einen weiteren Verdächtigen fest, mit dem der mutmaßliche Attentäter per Internet gechattet haben soll. Aus Bursa hatte Dink vor seiner Ermordung einen Drohbrief erhalten.

Massen bei Beerdigung

Der am vergangenen Freitag erschossene Journalist war am Dienstag unter der Anteilnahme von zehntausenden Menschen in Istanbul beigesetzt worden. Der armenisch-apostolische Patriarch von Istanbul, Mesrob II. Mutafyan, rief zu verstärkten Anstrengungen gegen die "Armenier-Feindlichkeit" in der türkischen Gesellschaft auf. Damit müsse in den Schulen und Schulbüchern begonnen werden, sagte der Kirchenführer bei der Trauerfeier für den Ermordeten in der Patriarchatskirche von Istanbul. Die Armenier in der Türkei, "die seit Tausenden von Jahren auf diesem Boden leben", dürften nicht länger als "Ausländer und potenzielle Feinde" betrachtet werden. Zugleich gab der Patriarch seiner Hoffnung auf einen Dialog zwischen der Türkei und Armenien Ausdruck. Dink habe sich für einen solchen Dialog eingesetzt und sich mutig allen Widerständen gestellt. (APA/AFP/dpa)