Bild nicht mehr verfügbar.

Nur wenige Stunden vor der Hauptversammlung erwarb Siemens für für 3,5 Milliarden Dollar den US-Softwarehersteller UGS und legte glänzende Quartalszahlen vor.

Foto: APA/dpa/Andreas Gobert

Bild nicht mehr verfügbar.

Rund 13.000 Siemens-Aktionäre drängten zur Hauptversammlung in die Münchner Olympiahalle.

Foto: Getty
Die sonst mäßig gefüllte U-Bahn-Linie U3 zum Münchner Olympiazentrum war ab 7.30 Uhr gedroschen voll, tausende Menschen stapften durch den Schnee des Olympiaparks. Wenn der Elektromulti Siemens zur jährlichen Aktionärsversammlung in die Olympiahalle lädt, dann ist das für Siemens-Pensionisten so etwas wie ein Familienausflug. Heuer waren viele von ihnen nicht sehr gut gelaunt. Zu viele schlechte Nachrichten mussten sie von ihrem Ex-Brötchengeber zuletzt in den Zeitungen lesen.

„Die kriegen den Hals nicht voll“, schimpft Herr Z., „zuerst wirtschaften sie das Handy- und Telekomgeschäft herunter, tausende Mitarbeiter verlieren ihre Arbeitsplätze und dann gönnen sie sich eine Gehaltserhöhung um 30 Prozent.“ Wie Herr Z. denken viele und sie äußern es auch, als die Schlangen bei den wenigen geöffneten Eingängen wegen rigoroser Sicherheitskontrollen immer länger werden. Hier wird ein Schnupfenspray eingezogen, dort darf ein Apfel nicht mit hinein – die Siemens-Führung hat offenbar Angst vor Kleinanlegern und lässt mitgebrachte Gegenstände gnadenlos einziehen.

Die Sorge war unbegründet, denn die Aktionäre waren wohl aufgebracht, aber keineswegs gewalttätig. Als Aufsichtsratspräsident Heinrich von Pierer die Hauptversammlung (HV) eröffnet, waren längst nicht alle rund 13.000 der insgesamt 32.214 angemeldeten Shareholder im Saal. Viel versäumten sie allerdings nicht, denn von Pierer und sein Nachfolger als Vorstandschef, Klaus Kleinfeld, hatten beschlossen, die Aktionäre niederzureden. Der Präsident verlas neun, für Siemens-Verhältnisse unüblich klein bedruckte Seiten, Kleinfeld sogar 19.

Beide versichern wortreich und gespickt mit Allgemeinplätzen, dass sie vom Korruptionsskandal – bisher wurden 400 Millionen Euro in schwarze Kassen gefunden, mit denen Auftraggeber geschmiert wurden oder werden sollten – nichts gewusst hätten und nun dafür sorgen würden, diesen – während ihrer eigenen Vorstandsmandate angestauten Korruptionssumpf – trocken zu legen. Kleinfeld hatte es dabei etwas leichter, er konnte bereits am Morgen eine positive Quartalsbilanz vorlegen, die nur durch die 423 Millionen Euro Kartellstrafe getrübt war, die Brüssel elf Anbietern gasisolierter Hochspannungsschaltanlagen tags zuvor aufgebrummt hatte. Der Siemens-Aktie, die deutlich zulegte, half auch die Ankündigung, man werde die Automotive-sparte (VDO) an die Börse bringen. Das war natürlich Munition gegen die aufgebrachten Fondsmanager und Aktionärsvertreter, sie dürfen überraschend auf eine Extra-Dividende im nächsten Geschäftsjahr hoffen.

Mit Pierer, Kleinfeld und Co sind sie dennoch hart ins Gericht gegangen. „Das Unternehmen schlittert von einer Affäre in die nächste“, sagte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW). Der Schmiergeldskandal sei „ein Armutszeugnis“ für die Kontrollsysteme, die Führung habe zu spät auf die Vorfälle reagiert und die Öffentlichkeit über das wahre Ausmaß zu lange im Dunkeln gelassen. Wie andere Aktionäre lehnte der DSW eine Entlastung aller Führungsorgane ab.

Entlastung vertagt

Viel Aussicht auf Erfolg hatte dieses Ansinnen freilich nicht. Denn Ex-Finanzvorstand Heinz-Joachim Neubürger und Ex-Vorstand Thomas Ganswindt waren ihnen zuvor gekommen, hatten von sich aus eine Verschiebung ihrer Entlastung bis nach der Aufklärung des Schmiergeldskandals vorgeschlagen. Pierer, Kleinfeld und die übrigen Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder durften bereits zu Mittag von einem positiven Bescheid ausgehen, wenngleich die lange Rednerliste eine Abstimmung erst in der Nacht erlaubte. Ein nordkoreanisches Abstimmungsergebnis wurde es nicht. Kleinfeld und Pierer wurden aber abgestraft. Pierer bekam nur 65,9 Prozent Zustimmung, Kleinfeld 71,4 Prozent. (Luise Ungerboeck aus München, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 26.1.2006)