"Eclisse" von Vico Magistretti (1965)

Foto: Amendolagine-Barracchia/Fotoarchiv der Collezione Permanente del Design Italiano, La Triennale di Milano
Der Standard : Was ist eigentlich mit den italienischen Designern los? Die Zeit, in der italienische Gestaltung über Jahrzehnte international die Nummer eins war, scheint vorüber zu sein ...

Silvana Annicchiarico: Das italienische Design ist ja nicht nur von Designern bestimmt, sondern von einem System, das mit der Generation der großen Meister gewachsen ist und das es geschafft hat, sich zu erneuern, indem es die Innovationen der Prozesse, der Materialien und Technologien mitträgt. Gerade deswegen stelle ich die italienische Vorreiterrolle nicht infrage. Ganz im Gegenteil, Italien ist noch immer das Land, in dem die besten Designer der Welt arbeiten wollen.

Der Standard: Die meisten neuen, bzw. zukunftsweisenden Designideen stammen heutzutage aus den Niederlanden. Zeitgenössisches italienisches Design wird in erster Linie in der klassischen Möbelgestaltung geortet. Gibt es so etwas wie das neue italienische Design?

Annicchiarico: Die Originalität, zum Beispiel der bekannten Holländer von Droog-Design, besteht in der Reflexion. Man kreiert Verzögerungen im Gebrauchsrhythmus oder stellt implizite Fragen über ihre Verwendbarkeit und Ergonomie. Im internationalen Panorama stehen die Niederländer am deutlichsten für Fantasie, Kreativität und Frische. Das heißt aber nicht, dass sie die Probe des Marktes bestehen. Natürlich gibt es ein neues italienisches Design, aber das ist situiert und operiert in einem Paradigma, das entschieden anders ist als jenes der "Alten Meister". Heute generiert das Design mehr Prozesse als Produkte. Der Designer ist heute also auch immer öfter Art-Director, Konsulent, Stratege usw.

Der Standard: Apropos "Alte Meister", was ist vom Erbe der großen Gestalter wie Ettore Sottsass, Achille Castiglioni nochvorhanden oder wie wird es fortgeführt?

Annicchiarico: Ich denke, es ist nicht richtig, das neue Design durch eine alte Optik zu betrachten. Im Übrigen ist es in der Menschheitsgeschichte immer so gewesen: Der Wechsel passiert immer über Paradigmensprünge, nicht über die Übernahme der Paradigmen von vorangegangenen Generationen.

Der Standard: Welchen Rat würden Sie jungen Designern geben?

Annicchiarico: Der erste Rat, den ich den Jungen geben würde, wäre viel Augenmerk auf die Forschung zu legen. Aber auch die Utopie nie zu vergessen, halte ich für sehr wichtig.

Der Standard: In der Ausstellung im Hofmobiliendepot sieht man eine Menge Klassiker. Sagt die Schau auch etwas über eine mögliche Zukunft des Designs aus?

Annicchiarico: In erster Linie erzählt die Ausstellung eine Geschichte, die im 19. Jahrhundert wurzelt und hier bis zum Ende des 20. Jahrhunderts gezeigt wird. Sie erzählt von einer großen Etappe der Kreativität, der Synergie zwischen Projektkultur, Kunst und Markt. Es geht also um die Gegenwart, nicht um die Zukunft. Von der Zukunft gibt es Samen, aber die sind noch unter der Erde: Zum Glück - weil wir sonst riskieren würden, dass sie keine Früchte tragen.

Der Standard: Anhand welcher Kriterien wurden diese 100 Objekte ausgewählt?

Annicchiarico: Die Auswahlkriterien waren in erster Linie "Emblematik" und "Repräsentanz". Die Objekte wurden wegen der Originalität des Projektes, wegen der Innovation der Technologie oder des Materials oder wegen ihrer Fähigkeit, den Geschmack und die Kultur einer bestimmten Epoche zu repräsentieren, ausgewählt.

Der Standard: Was nimmt der Besucher aus der Ausstellung mit?

Annicchiarico: Die 100 Stücke der Ausstellung deklinieren einen faszinierenden und suggestiven Fortgang der italienischen Materialkultur. In einem jeden von ihnen finden sich Spuren der Erinnerung, Fragmente von traditionellen Gesten, die im Alltäglichen wurzeln. Aber da sind auch die Projekt- und Produktionsprozesse zu erkennen. Der Besucher kann erkennen, wie sich die Italiener bewegt haben, wie sie gelebt haben und wie sie ihr Alltagsleben im Griff hatten.

Der Standard: Haben Sie ein Lieblingsstück italienischen Designs?

Annicchiarico: Von klein auf hatte ich die Lampe "Eclisse" von Vico Magistretti auf meiner Kommode stehen. Sie leuchtete, als mir meine Mutter vor dem Einschlafen Geschichten erzählt hat. Und die "Lettera 22" ist mir auch sehr wichtig. Auf der habe ich meine Diplomarbeit geschrieben. (Der Standard/rondo/26/01/2007)