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Josh Ottum: "Like the Season" (Tapete Records/Hoanzl 2007)

Coverfoto: Tapete Records
Manche Musiker kennt man schon auswendig, über andere stolpert man ohne jedes Vorwissen, weil man mal ein Video sieht, ein Stück im Radio oder als Lokalbeschallung hört und sich denkt: Besorg ich mir auf gut Glück, könnte mehr als nur ein guter Song dahinter stecken.

So auch in diesem Fall: Einige Jahre hat Josh Ottum in Bands gespielt ... von denen ich keine einzige CD zuhause habe. Da heißt es also erst mal sich schlau machen (jaja, wir kochen hier auch nur mit Wasser) - aber WICHTIG: die Reihenfolge einhalten. Erst das Album anhören und sich selbst eine Meinung bilden, dann nachgooglen, was andere so darüber denken. Und das scheint bei Ottum ziemlich einhellig auf zwei Vergleichsgrößen hinauszulaufen: Phoenix und Sufjan Stevens.

Vergleichsgrößen

Phoenix kann ich unterschreiben (das Eröffnungsstück "It's Alright" legt da schon die entsprechende Grundstimmung an), so wenig verwandt eine französische Band einem Singer-Songwriter aus Seattle oberflächlich betrachtet auch erscheinen mag. Aber Sufjan Stevens? Na, ich weiß nicht. Ottum hat für sein Solo-Debüt zwar unter anderem auch Mitglieder von Stevens' Begleitorchester rekrutiert - neben Laura Veirs (bei uns schon mal als Lieblingsplatte vertreten), Rosie Thomas (ab Ende März mit neuer Platte auf dem Markt) und einem ganzen Haufen anderer Leute aus Seattle und Umgebung ...

... aber der Sound, den die ausgefeilten Arrangements ergeben, ist doch ein ganz anderer. Nicht märchenhaft-ätherisch wie bei Stevens, sondern deutlich flotter, lebendiger und irdischer. Wenn "Easy Way Out" mit einem Billy Joel-haften Klavier-Intro loslegt und Gitarren und Bläser Schwung sammeln, erinnert das schon eher an Ben Folds, noch zu Five-Zeiten. Oder auch, weiter zurückgehend, an Steely Dan oder Randy Newman. Anklänge an die 70er gibt es auf "Like the Season" nämlich nicht zu knapp.

Wechselbäder

Songs wie "Easy Way Out", "Who Left The Lights On?" oder "If This Mirror Could Only Talk" illustrieren am besten Ottums spielerische Herangehensweise ans Songwriting: Als würden Sandburgen gebaut, teilweise wieder eingerissen und neu errichtet, konstruiert Ottum Sounds und Melodiebögen, die einander ergänzen, abwechseln oder überlagern, sich aufbauen und gleich wieder verschwinden. Eben noch tönt ein volles Arrangement aus Hörnern, Zweifachgitarre und Mehrstimmigkeit, da bricht plötzlich alles ab, Handclaps überbrücken im Alleingang die Stille - bis gänzlich unvermutet ein Pudelrock-Synthieakkord in wüstester 80er-Jahre-Manier loslegt (offenbar der ebenfalls mehrfach gelesene Van Halen-Verweis ... was man nicht alles so findet).

Anderes Beispiel: im letzten Drittel scheint sich das Album zu beruhigen, "My Book" und "Follow Me" führen in stillere und reduzierte Klänge hinüber, bis der Hörer zu "Heaven The Great Cocoon" sich schon in einen ebensolchen eingelullt fühlt - da reißt einen wie aus dem Nichts der krachigste Gitarreneinsatz des ganzen Albums aus dem Schlummer. Der Mann mag offenbar Überraschungen.

Wenn sich zur Vorstellung von yet another singer-songwriter zwangsläufig die Frage aufdrängt: "Wo ist hier der Mehrwert?", dann findet man ihn in ebendiesem Spiel mit Schichten, Strukturen und Wechseln. Filmisch ausgedrückt: Dies ist nicht Hollywood, wo man schon zu Beginn weiß, dass Gut gegen Böse gewinnen wird und wer wen am Ende kriegt - Josh Ottum liefert mit seinen Songs die Entsprechung eines Independentfilms: die Handlung darf sich frei und unvorhersehbar entwickeln und erst am Ende wissen wir wirklich, wie's ausgeht.

Das dunkle Pünktchen

Eines nur gäbe es doch zu bemäkeln: selbstverliebter Gitarreneinsatz könnte in Zukunft zu einem Problem werden. Auf "Like the Season" ist er noch gut in den Soundschichten versteckt - aber man wird ein Auge drauf haben müssen. (Josefson)