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Grundsolide Themenverfehlung: Erwin Steinhauer, Maya Bothe und Bernhard Schir im Josefstädter "Fest", inszeniert von Philip Tiedemann.

Foto: APA/TRIERENBERG
Wien - Wie bringt man das, was sich hier abgespielt hat, auf den Punkt? "In vollem Vertrauen darauf, dass man nichts verstehen muss und vieles versprechen darf, zum Erfolg"? Am Donnerstagabend feierte im Theater in der Josefstadt, wo man bis in alle Ewigkeit die "wahren" Kammertöne zu zelebrieren gedenkt, eine im Vorfeld als "hochbrisant" eingeschätzte Inszenierung Premiere, bei der die Verantwortlichen bis in jede Klatschspalte des Landes hinein hofften, dass das werte Publikum "nicht ab der Pause lieber schön essen geht".

Weil: Tabuthema. Kindesmisshandlung. Es soll Darstellerinnen gegeben haben, die bei den Proben weinen mussten über das, was sie da zu spielen hatten ("schlicht und ergreifend die bodenständige Brutalität des Lebens"). Aber vielleicht hätten sie besser geweint oder geschimpft darüber, wie und was man in einem Stadttheater wie der Josefstadt spielen muss, weil: Wenn wir in Österreich schon kaum mutige Filme wagen, dann spielen wir eben einen nach: Im Fall von Thomas Vinterbergs Das Fest (bereits mehrfach für die Bühne adaptiert) ist dies in mehrfacher Hinsicht ein Irrtum.

Totentänze und Gespenstersonaten

Es ist zwar wahrscheinlich, dass der dänische Autor und Regisseur Totentänze und Gespenstersonaten und Familienhöllen von Ibsen, Strindberg, Bergman im Hinterkopf hatte, als er den ersten Dogma-Film konzipierte. Aber man muss nur um 9,90 Euro eine DVD der SZ-Cinemathek kaufen, um sich zum Beispiel 57 Euro für die erste Reihe fußfrei in der Josefstadt zu sparen, weil man da innerhalb von nur 90 Minuten (am Theater dauert's fast drei Stunden) sofort sieht: Das Thema von Das Fest ist weniger Kindesmisshandlung als eine neue Definition von Handlungsspielraum (auch fürs Erzählen) und der Rolle, die die Körper in diesem spielen mögen, bis "es" quasi durch sie hindurchspielt.

Es geht um eine Gegenwart, in der sich die ältere Generation nicht mehr zurechtfindet und in der die jüngere Generation ihren Platz noch nicht gefunden hat. Es geht (auch filmisch) um die Sprache, die dabei auf der Strecke bleibt. Insofern sind die Dialoge in Das Fest schlechte Seifenoper mit sehr hellen Momenten, etwa wenn der Vater den Sohn zurechtweist ". . . weil Ihr nichts Besseres verdient habt!"

"Hauptpersonen"

Der hämische Verzicht auf dieses "Bessere", das ist Rock 'n' Roll, Punk und im Fall von Das Fest war es eben: Dogma. Nach allen Regeln eines Bekenntnisses zum Low Budget inszenierte Vinterberg ein Home-Movie, das man sich im Familienkreis später nie wieder ansehen wird. "Schlechte" filmische Anschlüsse, Einstellungen, die "Hauptpersonen" aus dem Fokus verlieren, abgerissene Sätze - den Fehlleistungen entspricht die Mangelhaftigkeit des Gefilmten.

Tolle Rollen!

Das Blöde und das Bittere an der Josefstadt an diesem Abend ist, dass man in solchen formalen Kategorien, die doch wesentlich die inhaltliche Ebene strukturieren, nicht zu denken vermag. Und gleichzeitig mangels Unterscheidungsvermögen alles gleich macht und so ein "Stück" auf ein (Tabu-)Thema und auf ein paar tolle Rollen für Publikumslieblinge reduziert. Gut möglich, dass Josefstadt-Direktor Herbert Föttinger derzeit schon erwägt, Elfriede Jelineks Klavierspielerin als Kammerspiel zu adaptieren . . .

Jetzt aber Das Fest. Ein Schauspielerfest, na klar, anfangs etwas hilflos outriert (was man auch dem Premieren-Stress zuschreiben könnte), und vor allem im zweiten Teil zunehmend selbstgewiss als Bekenntnis zu den guten alten wahren falschen Tönen, inszeniert vom Peymann-Eleven Philip Tiedemann, in einem Mischung aus Speisesaal und Hotelfoyer (Bühne: Etienne Pluss), über der sich drohende Wolken türmen.

Geburtstagstafel

In diesem Vorhöllen-Nirgendwo sehen wir Erwin Steinhauer als Patriarchen, wie in Wien einer nur Patriarch sein kann, also so ein bisschen gemütlich, aber auch gemein. Wir sehen: Marianne Nentwich als Mutter, mit zartem Nervenkostüm, gewiss, aber eine konsequente Verteidigerin des familiären Zusammenhalts; Bernhard Schir als Sohn, der dem Herrn Papa ein verzweifeltes "Vergewaltigt!" über die Geburtstagstafel schleudert (in seinem Spiel ist er noch am nächsten bei der filmischen Vorlage); Maria Köstlinger als Tochter, die das zuerst nicht akzeptiert; Fritz Karl, als zweiter Sohn, der es nicht kapiert; Fritz Muliar als Opa, ein glaubwürdiger Fall von beginnender Alzheimer.

Alle tragen Namen wie Lars oder Helge oder Mette, könnten aber auch Fritz oder Rudi oder Susi heißen. Und dazwischen bewegt sich Therese Lohner als Geist einer toten Tochter, als hätte sie ein paar mal zu oft The Sixth Sense geschaut. Sind die Dialoge hart, dann schauen alle betroffen. Gilt es, Verdrängungsarbeit des Bürgertums abzubilden, setzen sie Hütchen auf und tanzen "besoffen" um die Tafel. Am Ende wohliger Applaus. Jetzt hat man zu reden beim "schön essen gehen".

Bild einer Gesellschaftsschicht und einer Hochkultur

Im Kino liefe so etwas definitiv nicht unter Filmkunst. Im Theater ist es "virtuos!", "beeindruckend!". So feiert das Missverständnis sich selbst. Unfreiwillig formierte sich an diesem Abend das Bild einer Gesellschaftsschicht und einer Hochkultur, die die wahren Probleme, die auf sie zukommen, nicht einmal annähernd artikulieren kann. (Claus Philipp/DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.1.2007)