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Es ist, wie Ludwig Wittgenstein einmal sagte: ,Humor ist keine Stimmung, sondern eine Weltanschauung.'

apa/dpa/Marcus Führer
Standard: Sie haben einen bemerkenswerten Satz geprägt: Lachen - und nicht alles mitmachen! Wie meinen Sie das?

Kirchmayr: Der Doppelsinn sagt es: Man muss einiges "mitmachen" im Sinne von "im Arbeitsleben durchmachen und erleiden". Aber man soll nicht alles "mitmachen", was "man" - also der Zeitgeist - von einem erwartet. Aber "man" ist eine Großmacht! Denken Sie nur an den Strom von Rezepten für die Unternehmensführung, denen unter Aufgabe eigenen Denkens auf der Stelle nachgeeifert wird. Oder an "man" denkt so, kleidet sich so, fühlt so, bewundert Reichtum, Erfolg, Macht. Und strebt danach. Aber was ist wirklich wichtig, tut einem gut, entspricht auch den realen Möglichkeiten?

Ein Sponti-Spruch bringt es auf den Punkt: "Lass dich aus der Rolle fallen, damit du aus der Falle rollst!" Rollen und die damit verbundenen Erwartungen sind des "mans" wichtigste Erfüllungsgehilfen. Es ist aber möglich, sich ein Stück weit freizulachen und nicht nach, sondern mit den Rollenerwartungen zu leben. Humor und Witz fördern diese Rollendistanz. Sie führen zur Selbstdistanz, dem wichtigsten Element eines weniger angespannten, mehr selbst- als fremdbestimmten Lebens!

Standard: Was tun wir uns mit dieser Humorlosigkeit und einer verkümmerten Selbstdistanz an?

Kirchmayr: Unlängst wurde eine Studie über die Häufigkeit des Lachens veröffentlicht. Das Ergebnis: Kinder lachen durchschnittlich 400-mal pro Tag, Erwachsene gerade noch 20-mal. Weithin herrscht also tierischer Ernst. Sigmund Freud wusste es: "Geld macht nicht glücklich, denn Glück ist ein Wort aus der Kinderwelt." Was wir für ein glückendes Arbeitsleben benötigen, ist die Gemeinsamkeit von Kindlichkeit und Erwachsenheit. Die Unterdrückung der Kindlichkeit macht viele Menschen zu unglücklichen, depressiven, verängstigten, oft süchtigen Rädchen im Betrieb und der Gesellschaft.

Erich Kästner verlangte die Einführung des Schulfaches "Lachkunde" und hat in seiner "Ansprache zum Schulbeginn" die Zerstörung der Kindlichkeit, des Spielerischen, Aufmüpfigen und der Freude am Lachen angeprangert: "Früchtchen seid ihr, und Spalierobst müsst ihr werden! Aufgeweckt wart ihr bis heute, und einwecken wird man euch ab morgen . . . Lasst euch die Kindheit nicht austreiben! ... Nur wer erwachsen wird und Kind bleibt, ist ein Mensch!" Gerade heute, wo es im Beruf immer mehr Usus wird, aus Selbstschutzgründen mit der eigenen Meinung hinter dem Berg zu halten, sollten wir uns dieser Sätze erinnern.

Standard: Bis ins späte 17. Jahrhundert wurde "Witz" - abgeleitet von "ueid, Wurzel" - im Sinne von "Verstand, Klugheit, Wissen und Weisheit" gebraucht. Brauchen wir eine Rückbesinnung darauf?

Kirchmayr: Unbedingt. Die meisten Menschen denken da nur an blöde Witze, die es natürlich auch gibt. Dieser etwa ist tiefsinnig einfach: "Wer hat in einer guten Partnerschaft die Hose an? - "Keiner!" Aber die Weisheit, das Lebenswissen und die emanzipatorische Tendenz guter Witze sind den meisten kaum noch bewusst. Es ist auffällig, dass die ursprüngliche Bedeutung des Witzes mit dem Aufkommen der industriellen Produktion verloren geht. Noch um 1800 hat Goethe beide Aspekte des Witzes verwendet, nämlich "Witz haben" und einen "Witz erzählen oder machen". So schreibt er angesichts einer Entscheidung einem Freund, dass er noch "seinen Witz befragen müsse". Im Ausspruch, dass ein bestimmtes Wissen "witzlos" ist, hat sich diese ursprüngliche Bedeutung noch erhalten.

Standard: Wie tragen Witz und Humor zur Lebenskunst bei?

Kirchmayr: Witz, Humor und selbstdistanziertes, befreiendes, entlastendes Lachen sind Vitamine für die Lebenskunst. Es ist keineswegs zufällig, dass in den letzten zehn Jahren das Interesse an "Lebenskunst" enorm zugenommen hat. Die globalisierte Shareholdervalue-orientierte Wirtschaft verschärft die Gefahr der Selbstausbeutung drastisch. Wir leben zweifellos in einer "Risikogesellschaft" mit asozialen Tendenzen. Die Verunsicherung, der Anpassungsdruck und das Verarmungsrisiko haben zugenommen. Die Gefahr, dass wir durch realistische Angst an Leib, Seele und Gemeinschaftssinn Schaden nehmen, ist gewachsen. Es bedarf großer Anstrengung, folgendem Motto zu widersprechen: "Ich gehe vor die Hunde. Gehst du mit?" Die Lebenskunst besteht darin, unser Leben trotz schwieriger Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass es trotz aller Fremdbestimmung im Lot bleibt.

Der wachsende Leistungsdruck schreit nach Entlastung, Entspannung und Lockerung. Ein kluger Sponti-Spruch bringt das zur Sprache: "Es wird immer schwieriger, einfach zu leben!" Befreiendes Lachen, die Widerständigkeit des Witzes und die trotz allem heitere Distanzierung von den Dingen sollten wir als Ausdruck wahrer Lebenskunst wieder stärker in unseren Alltag einbringen.

Standard: Humor hat also zwischenmenschlich-therapeutische Wirkung?

Kirchmayr: Klares "Ja"! Humor und Witz sind soziale Phänomene und haben entsprechende Auswirkungen. Studien belegen, dass Humor für die gute Gestaltung von Partnerschaften große Bedeutung hat. Eine ähnlich positive Wirkung wurde auch für das Arbeitsklima im Betrieb und für die Kreativität und Produktivität nachgewiesen.

Humor ist bekanntlich, wenn man trotzdem lacht - sprich: wenn man Probleme oder Konflikte mit ein wenig Distanz zu den Dingen und zu sich selbst betrachtet. So kommt Spielraum in die zwischenmenschlichen Beziehungen. Man nimmt sich selbst, andere Menschen und die Dinge des Lebens zwar ernst, aber nicht tierisch ernst. Man verbeißt sich nicht in alles und jeden. Dadurch werden gute Kompromisse und kreative Lösungen leichter. Etwa so: Der Rabbi überrascht seine Frau mit einem anderen Mann im Bett und sagt: "Liebe Frumele, das gefällt mir gar nicht. Du weißt: So fängt es oft an - und schließlich raucht man am Sabbat."

In jedem Witz ist ein Problem verborgen, das oft psychohygienisch zur Sprache kommt. Denn die Verdrängung von starken Gefühlen ist eine wesentliche Ursache für psychische und psychosomatische Erkrankungen. Guter Witz artikuliert unterdrückte Gefühle und Bedürfnisse.

Standard: Ist die Eigenschaft, humorvoll zu reagieren, angeboren oder Selbsterziehung?

Kirchmayr: Sicherlich ist das Temperament weit gehend angeboren. Doch humorvolle und witzige Bezugspersonen, vor allem in der Kindheit und Jugendzeit, spielen bei der Entfaltung von Witz und Humor eine große Rolle. Dennoch kann man sich selber dazu erziehen, Humor und Witz zu entfalten und zu kultivieren. Wie Ludwig Wittgenstein sagte: "Humor ist keine Stimmung sondern eine Weltanschauung." Wie man die Welt anschaut, hängt auch von eigenen Entscheidungen ab. Und von den Vorbildern, die man sich nimmt. Aber jeder Mensch kann "gegensteuern", Eigenschaften und Verhaltensweisen fördern, die er wenig ausgeprägt hat. Übrigens: Kennen Sie den Unterschied zwischen Theoretiker und Praktiker? Der Theoretiker ist ein Mensch, der praktisch nur denkt. Und der Praktiker ist ein Mensch der nur praktisch denkt.

Humor ist ein Kind der Lebensfreude - trotz aller Widrigkeiten und Widerlinge. Friedrich Nietzsche hat dafür einen weisen Rat gegeben: "Seit es Menschen gibt, hat sich der Mensch zu wenig gefreut. Das allein, meine Brüder (und Schwestern) ist unsere Erbsünde! Und lernen wir, besser uns freuen, so verlernen wir am besten, anderen wehe zu tun und Wehes auszudenken. (Der Standard, Printausgabe, 27./28.1.2007)