Österreich
Suchtgiftbericht 1999: Mehr Drogenopfer
Anzeigen nahmen zu - weniger "Stoff" sichergestellt - Europa schon weltweiter "Marktführer" bei Ecstasy-Produktion
Wien - "Österreich hat ein Drogenproblem mit Stabilisierung auf hohem Niveau", sagte Innenminister Ernst Strasser am Montag bei der Präsentation des
Suchtgiftberichtes 1999. Genau 17.597 Anzeigen nach dem Suchtmittelgesetz bedeuten im Vergleich zu 1998 einen Anstieg von 2,7 Prozent. Auch die Zahl der
Menschen, die an den Folgen von Drogenkonsum gestorben sind, ist auf 174 angewachsen. Im Vorjahr waren es 162 Opfer. Zum Vergleich: Jährlich sterben in
Österreich 80.000 Menschen an alkoholbedingten Todesursachen.
Einen Großteil der Drogen-Anzeigen machten leichtere Vergehen aus, fast 70 Prozent bezogen sich auf Konsum von oder Kleinhandel mit Cannabis. Wie berichtet,
wird in derartigen Fällen die Anzeige meist von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt - mit der Auflage, sich regelmäßigen Kontrollen zu unterziehen. Man müsse
aber auch weiterhin Vergehen anzeigen, denn es handle sich um Offizialdelikte, sagte Karl Lesjak, Leiter der Zentralstelle gegen organisierte Kriminalität.
Nach den Verbrechenstatbeständen wegen Handels, Schmuggels oder Erzeugung in größerem Stil gab es mit 1956 Anzeigen einen Rückgang um rund elf Prozent. Auch
die sichergestellten Drogenmengen insgesamt gingen zurück: Cannabiskraut: 341,4 Kilogramm (1998: 1211 Kilo), Cannabisharz: 109,9 Kilo (125), Heroin: 78,8
Kilo (118), Kokain: 63,4 Kilo (99). 31.129 Stück Ecstasy bedeuten ein Minus von mehr als 72 Prozent im Vergleich zu 1998, als bei einem einzigen Schlag
100.000 Tabletten gefunden worden waren.
Die Rückgänge bei den Suchtgiftsicherstellungen werden mit dem Umstand erklärt, dass den Sicherheitsbehörden 1999 - ganz im Gegensatz zum ersten Halbjahr
2000 - keine Großaufgriffe gelungen sind. Wie berichtet, wurde erst vor zwei Wochen in Wien die Rekordmenge von 104 Kilo Heroin sichergestellt.
Spitze Vorarlberg
Für die einzelnen Bundesländer fällt die Anzeigenstatistik höchst unterschiedlich aus. In weiten Teilen Österreichs, etwa Salzburg, Oberösterreich und
Burgenland, waren Rückgänge zu verzeichnen. Vorarlberg hingegen wies mit plus 61,54 Prozent eine exorbitante Steigerungen auf. Gerhard Stadler, der Leiter
der Einsatzgruppe zur Bekämpfung der Suchtgiftkriminalität, erklärte das mit dem "kleinen Drogengrenzverkehr" via die Schweiz. Cannabis werde in "Hanflädle"
im Nachbarland, verpackt in "Duftsäckchen", gekauft und nach Vorarlberg geschmuggelt.
Die EU werde "zusehends zu einem gemeinsamen Absatzmarkt" von Drogen, Österreich sei ein Teil davon, konstatierte Lesjak. Und: Bei der Herstellung
synthetischer illegaler Substanzen wie Ecstasy habe Europa "möglicherweise bereits die Marktführerschaft erlangt", so Lesjak. 1998 waren in Europa noch rund
fünf Millionen Stück Ecstasy aus dem Verkehr gezogen worden, 1999 waren es bereits 14 Millionen Tabletten. Erzeugt vor allem in den Niederlanden und in
Osteuropa.
Mehr als die Hälfte aller Festnahmen wegen Drogendelikten betrafen ausländische Staatsbürger, vor allem aus Deutschland (442), aus der Türkei (374), aus
Jugoslawien (352) und aus der Schweiz (229). 140 Verhaftungen wurden nach der "Operation Spring", der Razzia inklusive Lauschangriff, gegen Menschen aus
Sierra Leone ausgesprochen.
Hilfe statt Strafe
Die Zahl der Drogentoten in Wien hat nach jüngsten Daten auch heuer schon wieder zugenommen. Zum Stichtag 15. April 2000 waren es 49 Opfer, im gesamten
Vorjahr 109. Das Durchschnittsalter der Verstorbenen lag bei 34,1 Jahren, vor wenigen Jahren lag dieser Wert wesentlich darunter. Der Wiener
Gesundheitsstadtrat Sepp Rieder: "Dass immer weniger junge Menschen dem Drogenmissbrauch zum Opfer fallen, ist vor allem dem Ausbau der Betreuungsnetze und
dem Prinzip Therapie statt Strafe zu verdanken." (simo/frei)