Über 100 gerichtliche Entscheidungen haben sich in den USA seit 2004 auf das Online-Lexikon Wikipedia gestützt. Darunter befinden sich 13 Entscheidungen am US-Bundesberufungsgericht, die letzte Instanz vor dem Obersten Gerichtshof in den USA, berichtet die New York Times . Für Inga Schmidt-Syaßen, Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Hamburg, ist die Verwendung von Wikipedia als Quelle höchstens für die Beschaffung von Hintergrundinformationen legitim. "Als Grundlage für eine gerichtliche Entscheidung ist Wikipedia als Quelle nicht denkbar", sagt sie im Gespräch mit pressetext.

"Wikipedia ist eine wunderbare Ressource."

Abgesehen davon sei es am Oberlandesgericht noch nie dazu gekommen, dass Wikipedia in einem Prozess als Quelle verwendet wurde, sagte Schmidt-Syaßen weiter. Richard Posner, Richter am US-Bundesberufungsgericht, ist hingegen offener. "Wikipedia ist eine wunderbare Ressource. Aber es wäre falsch Wikipedia bei einer entscheidenden Angelegenheit einzusetzen", sagt er in der New York Times. Schmidt-Syaßen sieht das Problem darin, dass jeder in Wikipedia Einträge erstellen könne. Cass Sunstein, Gastprofessor an der Harvard Law School, vermisst bei Wikipedia die Qualitätskontrolle. "Wenn Richter Wikipedia verwenden, könnte das zu opportunistischen Wikipedia-Einträgen führen, um den Ausgang von Fällen zu beeinflussen", befürchtet Sunstein.

"Hipp"

US-Richter verwenden Wikipedia hauptsächlich in Fußnoten oder als Basisinformation, aber nicht als Entscheidungsgrundlage. So zitierte Posner kürzlich einen Wikipedia-Artikel über den polnischen Boxer Andrew Golota bei einem Drogenprozess, in den Golotas ehemaliger Trainer verwickelt ist. Sunstein vermutet, dass Richter damit zeigen wollten, dass sie mit der Zeit gehen und "hipp" seien. Allerdings wurde Wikipedia in anderen Fällen auch als Grundlage für bedeutendere Fakten verwendet. Für Stephen Gillers, Professor an der New York University Law School, ist die Akzeptanz in der Öffentlichkeit ein wesentlicher Faktor. "Ein Richter sollte auf Wikipedia nicht zurückgreifen, wenn die Öffentlichkeit nicht bereit ist diese Quelle als berechtigte Ressource zu akzeptieren", so Gillers. Im Dezember 2006 verzeichnete die Website laut Comscore 38 Mio. unique visitors. (pte)