Bild nicht mehr verfügbar.

Durch die örtliche Nähe der niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiater sollen Schwellenängste einfacher abgebaut werden

Foto: APA/dpa/Patrick Lux
Österreichweit wird es ab ersten Februar das Sonderfach Kinder- und Jugendpsychiatrie für Mediziner geben. Nach der neuen Ausbildungsordnung ist es möglich, den Facharzt in durchschnittlich sechs Jahren zu erlangen. Bisher musste man nach dem dreijährigen Turnus eines der Grundfächer Kinder- und Jugendheilkunde, Psychiatrie oder Neurologie belegen (Dauer vier Jahre). Erst im Anschluss daran konnte man das Zusatzfach Kinder-, Jugend- und Neuropsychiatrie erlangen. In Summe dauerte die Ausbildung mindestens neun bis zehn Jahre.

Pilotprojekt

Zum ersten Mal können sich Eltern, Kinder und Jugendliche nun für eine psychiatrische Behandlung auch an den niedergelassenen Facharzt wenden. Bei der niederösterreichischen Ärztekammer hofft man durch dieses Projekt die Diskriminierung von psychisch kranken Menschen zu vermindern, Vorurteile abzubauen und den Zugang zu psychischer Gesundheitsversorgung zu vereinfachen.

Schwellenangst durch Patientennähe nehmen

Eine der beiden Ärztinnen, die im Rahmen des vorerst für drei Jahre anberaumten Pilotprojektes arbeiten, ist Charlotte Hartl in Purkersdorf: "Da die kinder- und jugendpsychiatrische Behandlung auf Krankenschein im niedergelassenen Bereich bisher nicht möglich war, konnten die Leistungen nur privat angeboten werden." Auch Kinder- und Jugendpsychiaterin Hartl hat ein Jahr lang so gearbeitet, "das entspricht allerdings einer Zweiklassenmedizin", kritisiert sie. Das neue Angebot der Kinder- und Jugendpsychiatrie bringt für sie viele Vorteile mit sich: "Es ist wohnortnah, regional und damit auch patientennäher". Auch die Schwellenangst der Patienten vor einer psychiatrischen Behandlung sieht sie durch die größere Nähe schwinden.

Behandlung im Krankenhaus

"Ambulanzen in den Krankenanstalten hingegen sind in der Regel rund um die Uhr geöffnet. Das kann ein Vorteil für die Patienten sein, wenn sie eine rund um die Uhr Betreuung brauchen oder die Anbindung an eine Tagesklinik oder Station. Der Nachteil ist aber die oft erhebliche Entfernung", erklärt Hartl die Vor- und Nachteile einer Behandlung in Krankenhäusern.

Rechtzeitig helfen statt Krisenintervention

Das Ziel der Behandlung im niedergelassenen Bereich: Rechtzeitige Behandlung bevor es zur Krise kommt. "Derzeit kommen Familien erst in einer Krise zu mir, weil es ja noch keine entsprechende Versorgung gibt und die Menschen sehr lange zuwarten. Wir müssen häufig Kriseninterventionen durchführen, was oft die Vorbereitung der Familie auf die Notwendigkeit einer stationären Aufnahme bedeutet – das ist aber nicht mein Ziel. Prinzipiell ist für den Erstkontakt wichtig, dass man einen Termin vereinbart, es folgt Diagnostik, Begutachtung, Behandlung (eventuell auch medikamentös) und danach eventuell Weiterführung und medikamentöse Kontrolle."

'Werkzeug' Zeit

Wichtig bei der Behandlung ist der Zeitfaktor: "Man braucht mindestens eine, manchmal sogar zwei Stunden bis man eine Erstorientierung hat um dann bei einem weiteren Termin eine entsprechende Behandlung durchzuführen." Ein gewisser Prozentsatz an Kindern brauche Medikamente. Die Einrichtung in Hartls Ordination entspricht laut eigener Beschreibung nicht der sterilen Vorstellung von Arztpraxen: "Meine Ordination sieht eher wie ein Wohnzimmer aus. Die Zeit, die Beziehung und das Gespräch sind das wichtigste bei der Auseinandersetzung mit psychischen Erkrankungen."

Störungen

Die Altersgruppe, die versorgt wird, ist null bis 18 Jahre alt. Prinzipiell hätten Kinder und Jugendliche dann psychiatrische Auffälligkeiten, wenn sie die alterstypischen Lebensvollzüge nicht schaffen. "Das heißt, dass wir in jeder Altersstufe alterstypische Störungsbilder haben. Das beginnt mit dem Säugling, der die ganze Zeit schreit und nichts isst - die alterstypische Aufgabe des Säuglings wäre Trinken und Schlafen. Es geht dann weiter in den Kindergarten, wo bis zur Schule die wesentlichen Entwicklungsschritte wie Sprache, Sauberkeitsentwicklung, Schlafen, Sozialkontakte unter Umständen beeinträchtigt sein können. Autistische Kinder fallen da zum Beispiel in diesem Alter auf", führt Hartl aus.

Im Schulalter seien es Hyperaktivität, Tics, Zwänge, Angststörungen oder auch Aggressivität. Präpubertär oder mit der Pubertätsentwicklung kämen dann die klassischen Störungsbilder wie Essstörungen, Depressionen oder Schizophrenie, die der Erwachsenenpsychiatrie schon sehr ähneln. "Ein großer zusätzlicher Bereich bei den psychischen Störungen sind natürlich auch Traumata", ergänzt Hartl.

Wichtige Teamarbeit

Wichtig ist für sie auch die Kooperation mit den zuweisenden Ärzten und zusätzlich mit Psychologen, Ergotherapeuten, Logopäden oder Psychotherapeuten. Auch die Vernetzung mit den Kindergärten und Schulen ist eine Notwendigkeit.

Projekt mit Zukunft

Für den Präsidenten der NÖ Ärztekammer, Lothar Fiedler ist die Schaffung des Sonderfaches Kinder- und Jugendpsychiatrie "die größte Errungenschaft für Kinder und Jugendliche der letzten Jahre". Die niederösterreichische Ärztekammer fordert eine flächendeckende Versorgung, die die Ausweitung des Pilotprojekts auf weitere niedergelassene Fachärzte beinhaltet, sowie die Aufnahme des Projekts durch alle übrigen Kassen. (Marietta Türk)