Pro Jahr gibt es an der Medizinischen Universität Wien rund 600 Anträge für klinische Studien. Sie alle müssen von der Ethikkommission der Med-Uni Wien und des AKH bestehen. Ernst A. Singer ist der Vorsitzende der Kommission, die dafür Sorge trägt, dass die Untersuchungen die Rechte der Patienten wahren. Er koordiniert die monatlichen Treffen von Medizinern verschiedener Fachrichtungen, Patientenanwälten, Vertretern der Krankenpflege, der Seelsorge und der Anstaltsapotheke, die betroffene Patienten vor ungerechtfertigten Belastungen und Risiken bei der Erprobung des medizinischen Fortschritts schützen.
Seit 1996 war der Pharmakologe bereits Kommissionsmitglied. Seine Forschungsarbeit im Labor musste er aus Zeitmangel aufgeben, als er 2000 den Vorsitz übernahm. Er genießt es aber, sich auf diesem Wege einzubringen und "am Puls des Geschehens" zu bleiben. Besonders viele Projekte beurteilt er in der Tumortherapie: "Das ist eine besondere Herausforderung, da schwer kranke Menschen besonders geschützt werden müssen und gleichzeitig den Fortschritt der Forschung dringend brauchen." Einhellige Beurteilungen des Gremiums freuen den Mediziner, dem auch die Aufgabe zufällt, einem Antragsteller mitzuteilen, dass sein Vorhaben in der vorgeschlagenen Ausführung nicht akzeptabel ist. Gleichzeitig analysiert er Anzahl und Art der Forschungsprojekte und gewinnt so wertvolle Daten zur Forschungslenkung. Die "Stärken und Schwächen der klinischen Forschung" werden so erkennbar.
Der 58-Jährige kann sich nicht erinnern, je etwas anderes als Medizin studiert haben zu wollen: "Mein Vater war praktischer Arzt: Hausbesuche und Anrufe von Patienten gehörten zum Alltag. Mir gefiel, dass man durch Nachdenken und Untersuchungen das Übel ausfindig machen und Linderung verschaffen kann." Bei zwei Studienaufenthalten in den USA – an der Harvard University und der University of Massachusetts – lernte er, "dass Selbstvertrauen eine gute Sache ist. Ich kam aus einer Gesellschaft der Garantien in eine Gesellschaft der Chancen." Die Ethikkommission achtet auf etwaige Interessenkonflikte ihrer Mitglieder, denn Unabhängigkeit ist die Grundvoraussetzung für ihr Funktionieren. In den sechs Jahren seines Vorsitzes "gab es keine Interventionsversuche von Pharmafirmen", sagt Singer.