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Welt-Konferenz der islamischen Gelehrten in Malaysia im Juli 2003

Foto: APA/EPA/Ahmad Yusni
dieStandard.at: In Österreich gibt es kein Problem mit kopftuchtragenden Frauen an Schulen. Leistet die von Deutschland nach Österreich geschwappte Diskussion einer Verhärtung der Fronten Vorschub?

Strasser: Ich möchte an dieser Stelle gerne eine Gegenfrage stellen: Warum sind die Medien immer wieder bereit, dieses Thema auch ohne ersichtlichen Grund oder ohne soziales Problem als "Konfliktstoff" aufzugreifen?

dieStandard.at: Die Debatte liegt allerdings auf der Hand. Schließlich befindet sich Österreich in einem besonderen Naheverhältnis zu Deutschland. Und in Österreich gibt es auch ein Wissensdefizit, was die gesetzlichen Unterschiede zu Deutschland betrifft. Frau muss sich nur die Fernseh-Diskussionen und Postings (auch) in den Foren von dieStandard.at zu Gemüte führen, um zu erkennen, wie sehr dieses Thema emotionalisiert.

Strasser: Es gibt jedenfalls definitiv keinen Grund für eine Kopftuchdebatte in Österreich. Der Islam ist in diesem Land als Religionsgemeinschaft seit 1912 anerkannt und führende Persönlichkeiten des Islam in Österreich führen angeregte und anregende Debatten um ihre religiöse Praxis in einer europäischen Umgebung. Ich glaube nicht einmal, daß sich in Österreich neuerlich Fronten konstruieren lassen, da die Positionen unter den MuslimInnen viel zu differenziert sind. Den Feminismus überlassen muslimische Frauen längst nicht mehr den atheistischen oder christlichen Schwestern. Ihre Ansprüche, als Frauen aufgrund ihres Glaubens nicht diskriminiert zu werden, formulieren sie gut hörbar selbst.

Also konzentrieren wir uns doch wieder auf gemeinsame Interessen jenseits von Kleidung, wie zum Beispiel die Umsetzung der EU Richtlinien gegen Diskriminierung in Österreich. Viele MuslimInnen sind sogenannte Drittstaatsangehörige und als solche auch weiterhin am Arbeits- und Wohungsmarkt benachteiligt, sowie von politischer Partizipation ausgeschlossen - unabhängig davon, welche Kleidung sie tragen und an was sie glauben.

In Schweden wird sogar PolizistInnen das Recht auf Turban oder Schleier zugestanden. "Rückwärts orientiert" erscheint mir also dieser neuerliche Versuch die Debatte auf Gegensätze zwischen angeblich homogenen Gruppen zu reduzieren, nicht die Symbolsprache des Schleiers.

dieStandard.at: Die Frauen werden also doppelt diskriminiert?

Strasser: Das Koranzitat "So ist es am ehesten gewährleistet, dass sie erkannt (als muslimische Frauen) und nicht belästigt werden" ist in Österreich defakto ins Gegenteil verkehrt. Kleidung wird zu einem Grund für Diskrimierung. Durch ein sichtbares Zeichen der Religion werden Frauen von bestimmten Arbeitsstellen ferngehalten und immer wieder der Frage ausgesetzt, ob sie unterdrückt seien.

dieStandard.at: Wie erklären Sie sich die vermehrte Rückkehr des muslimischen Kopftuches in Österreich in den letzten beiden Jahrzehnten? Gibt es diesbezüglich Zahlen?

Strasser: In Österreich leben derzeit etwa 350.000 Muslime (in Europa sind es ca. 15. Millionen). Auf die besondere rechtliche Situation für Muslime haben sie ja bereits hingewiesen (siehe: Österreich: Islamgesetz seit 1914). Die Zahl der Muslime nimmt statistisch zu, wobei aber nicht in praktizierende und nicht praktizierende unterschieden wird. Auch die Unterscheidung in sunnitische und alevitische Formen des Islam wird dabei nicht vorgenommen. AlevitInnen stehen wie auch vom Laizismus in der Türkei geprägte Menschen den Bekleidungsvorschriften von SunnitInnen oft sketpischer gegenüber als gläubige ÖsterreicherInnen.

Die Zahl der bekennenden Muslime nimmt zu und bei Wahlen bringen sie auch (wenn sie die Staatsbürgerschaft nicht daran hindert) ihren Wunsch nach Repräsentation und Mitsprache zum Ausdruck. Omar Al-Rawi wird von vielen als Repräsentant islamischer Anliegen in der Politik akzeptiert.

Ich würde aber nicht von einer Rückkehr des Kopftuchs sprechen, das klingt schon wieder nach einer uneinschätzbaren Bedrohung. Es hat sich aber bei einer Gruppe von Frauen der Stil der muslimischen Kleidung verändert (auch MuslimInnen interessieren sich für Mode!). Gebildete, junge Frauen vertreten außerdem ihre Entscheidung, sich muslimisch zu kleiden, selbstbewußter als die Generation der Arbeitsmigrantinnen und sie sind auch sprachgewandt in öffentlich Debatten präsent und sichtbar. Viele sind schlicht Österreicherinnen und sehen die Forderung nach Anerkennung ihrer Religion und Gleichbehandlung in ihrem Land als Selbstverständlichkeit, für die es sich zu kämpfen lohnt.

dieStandard.at: Inwieweit begegnen Sie bei ihrer wissenschaftlichen Arbeit dem Kopftuch als Zeichen politischer Abgrenzung? Lassen sich die Vorwürfe einer Alice Schwarzer gänzlich von der Hand weisen?

Strasser: Alice Schwarzer gesteht den Forderungen nach Gleichbehandlung der MuslimInnen nicht den gleichen Platz zu wie den Forderungen nach Geschlechteregalität. Diese Hierarchisierung von unterschiedlichen Ansprüchen auf Gleichheit führt sie in die Rolle einer feministischen Entwicklungshelferin. Doch muslimische Frauen vertreten in der Zwischenzeit ihre unterschiedlichen Anliegen selbst und haben auch innerhalb ihrer Glaubensgemeinschaft differente Vorstellungen und Entwürfe von Feminismus. Da wäre Dialog statt versuchte Dominanz höchst angebracht.

dieStandard.at: Sie arbeiten auch im Bereich der Cultural Studies. Inwieweit ist "Kultur" angreifbar in einer multikulturellen Gesellschaft? Existiert diese überhaupt in Österreich?

Strasser: Wahrscheinlich muß zuerst der Kulturbegriff geklärt werden, um dann über Bedeutung von Multikulturalismus nachdenken zu können. Solange Kultur in abgrenzbare Felder der Gesellschaft führt, hat sie festschreibende Wirkung. Stellen wir uns aber die Frage nach dem Recht auf Differenz bekommt die Forderung nach Anerkennung von kulturellen Unterschieden kollektive Bedeutung. Wesentlich ist die Gefahr, daß Kultur, Identität und Territorium verknüpft werden und daraus Forderungen einer bestimmten Gruppe als legitmer als die einer anderen konstruiert werden. Das Gegenteil davon ist aber nicht die Vervielfältigung von abgegrenzten Kulturen, sondern die gemeinsame Veränderung der Gesellschaft, um für die unterschiedlichen Interessen Platz zu schaffen. Doch in Österreich sind wir aufgrund des Ausschlusses aller, die nicht die österreichische Staatsbürgerschaft haben, aus der politischen Mitbestimmung weit davon entfernt irgendetwas gleichberechtigt zu verhandeln. Als Fortschritt fällt mir immerhin die Regelung in Wien ein, wonach ein Wahlrecht auf kommunaler Ebene beschlossen wurde.

dieStandard.at dankt für das Gespräch.