Großbritanniens Premierminister Tony Blair und sein Nachfolger, Finanzminister Gordon Brown, seien sich einig, in der Frage der EU-Verfassung eine harte Linie einzuschlagen. Alles, was über einen "Mini-Treaty", also einige technische Veränderungen und Anpassungen der Stimmrechte und der Kommissionsbesetzung, hinausgehe, werde blockiert. Entsprechende Berichte in britischen Medien wie der Times wurden am Donnerstag in Brüssel als „kalte Dusche“ und „schockierend“ bezeichnet. Eine offizielle Reaktion der Kommission gab es nicht.

Großbritannien lehnt eine enge politische Union ab und will die EU lieber als eine erweiterte Freihandelszone sehen. Dennoch hat Blair die Verfassung unterschrieben, die Ratifizierung durch das Parlament aber nach den negativen Entscheiden in Frankreich und den Niederlanden ausgesetzt. Der nunmehrige Vorstoß wird in Brüssel als Antwort auf die intensiven deutschen Bemühungen gesehen, die Verfassung wiederzubeleben. Die derzeitige Ratsvorsitzende und deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte es bei ihrer Antrittsrede im EU-Parlament in Straßburg als „historisches Versäumnis“ bezeichnet, würde sich die EU auf keine gemeinsame Verfassung einigen können.

Merkel will einen straffen Zeitplan bis zum Ende der deutschen Präsidentschaft im Juni vorstellen. Am 25. März wird es anlässlich der 50-Jahr-Feiern zu den Römischen Gründungsverträgen eine „Berliner Erklärung“ über die gemeinsamen Werte der Union geben, auf denen die Verfassung basieren soll.

Spätestens Ende 2008 muss die Verfassung – oder eine sie ersetzende Lösung – stehen, da im Frühling 2009 das EU-Parlament neu gewählt wird und dann eine neue EU-Kommission ihr Amt antritt. Diese muss aber nach dem derzeit geltenden Nizza-Vertrag erstmals weniger Mitglieder haben, als die EU Mitgliedstaaten hat. Welche Länder nach welchen Richtlinien verzichten, wie ein Rotationssystem aussehen könnte, ist ebenso ungeklärt wie die zukünftigen Stimmrechte in den Räten. All das sollte durch die Verfassung geregelt werden.

Großbritannien will diese Fragen mit „technischen Vereinbarungen“ klären und die halbjährlich wechselnde Präsidentschaft abschaffen, einen fixen EU-Präsidenten und einen EU-Außenminister installieren und den Rest ersatzlos streichen, heißt es laut Times in britischen Regierungskreisen. Solange darüber keine Einigung erzielt würde, werde Blair alle Entscheidungen in der Verfassungsfrage blockieren. „Es ist nur zu hoffen, dass Großbritannien hier das Maximum aus seiner Sicht fordert und dann doch einer Verfassung zustimmt“, meinte ein Kommissionsmitarbeiter zum Standard.

Besorgniserregend sei, dass dieser Vorstoß offensichtlich auch von Blairs Nachfolger Gordon Brown unterstützt werde. Die EU-Gremien hatten gehofft, dass mit Brown auch eine EU-freundlichere Politik in die Downing Street 10 einziehe. Doch der nächste Premier scheine hier die Politik Blairs zu übernehmen. Neben Großbritannien haben auch Polen und Tschechien „große Skepsis“ angemeldet. (Michael Moravec aus Brüssel/DER STANDARD, Printausgabe, 2.2.2007)