Graz/Wien – Der Vertrag zum Bau des Koralmtunnels enthält einigen Zündstoff. Klagen könnten die Bundesländer Kärnten und Steiermark den Bund bei Nichteinhaltung theoretisch auf "Zuhaltung des Vertrags" und "Ersatz für erlittenen Schaden", meint Verfassungsrechtler Heinz Mayer. Ersteres würde allerdings bedeuten, dass die Länder die Koralmbahn erst selbst bauen und dann die Kosten beim Bund einklagen müssten. Zweiteres ist komplizierter, dazu müssten sie den erlittenen Schaden durch den Nichtbau erst beziffern; diesen könnten die Landeshauptmänner Jörg Haider (Kärnten) und Franz Voves (Steiermark) dann einklagen.

Für erheblich bedeutender hält Universitätsprofessor Rudolf Welser dagegen das politische Gewicht des am 15. Dezember 2004 von Vizekanzler Hubert Gorbach, Finanzminister Karl-Heinz Grasser und den ÖBB-Vorstandsmitgliedern Erich Söllinger, Ferdinand Schmidt, Gilbert Trattner und Georg-Michael Vavrovsky sowie den Landeshauptleuten Haider und Waltraud Klasnic plus deren damaligem Stellvertreter Leopold Schöggl unterfertigten Vertrags.

"Die größte Bedeutung des Vertrages ist, dass man ihn öffentlich vorlegen und sagen kann, schaut her, das haben wir vertraglich vereinbart und wir verpflichten uns zu diesen und jenen Maßnahmen", sagt der Vorstand des Instituts für Zivilrecht an der Universität Wien im Gespräch mit dem STANDARD. "Ich glaube, mit dem Vertrag haben die Länder eine weitaus bessere Position als der Bund."

"Echte Verpflichtung"

Welser nach Durchsicht des vierseitigen Vertragswerks: "Das ist eine klare privatrechtliche Vereinbarung und echte Verpflichtung." Auch wenn eine Klage bei Nichteinhaltung des Vertrags, die theoretisch sogar bis zur Exekution gehen könnte, realistisch kaum durchsetzbar sei, habe der Vertrag bedeutendes politisches Gewicht. Denn es würde dem Bund "politisch nicht gut anstehen, wenn das Gericht sagt, die Verpflichtung ist nicht eingehalten worden".

Damit ist klar: Auch die ÖBB sind mit der Vereinbarung zum Bau der mittlerweile auf mindestens 4,2 Milliarden Euro geschätzten Koralmbahn samt Tunnel zwischen Deutschlandsberg und St. Andrä rechtlich nicht wirklich unter Druck zu setzen. Denn in der Praxis werde der Vertrag nicht exekutierbar sein, weil sich kein Richter finden werde, der ein Bauprojekt dieser Dimension durchjudizieren würde, meinen auch andere Rechtsexperten.

Verkehrsminister Werner Faymann will sich weder die rechtliche noch die politische Auseinandersetzung antun, er ließ nach der Veröffentlichung des unter Verschluss gehaltenen Vertrags durch den STANDARD am Freitag erneut wissen: "Der Vertrag ist einzuhalten."

Bleibt als Alternative: Ein politischer Deal, also eine Verschiebung des Koralmbahnausbaus und anderer Projekte um mindestens zwei bis vier Jahre nach hinten. Dabei könnte ihm die Geologie helfen, denn vor der Fertigstellung des Sondierstollens sehen sich die ÖBB ohnehin nicht in der Lage, das Loch unter der Koralpe wie vorgeschrieben im Jahr 2016 in Betrieb zu nehmen. Aufgrund der Finanzierungsprobleme sei man mit der Auftragsvergabe schwer in Verzug, heißt es.

Bauaufträge in Tirol vergeben

Detail am Rande: In Tirol, wo die ÖBB Einsparungspotenzial in dreistelliger Millionenhöhe zwecks Verschiebung zu Koralmbahn und/oder Wiener Hauptbahnhof vermuteten, haben sich Faymann und ÖBB-Holding-Chef Martin Huber bereits eine Abfuhr geholt: Beim Schienenausbau im Unterinntal, dessen Kosten bereits auf rund 800 Mio. Euro explodiert sind, ist nichts mehr zu holen. Dort wurden laut ÖBB-Informationen bereits mehr als 80 Prozent der Bauaufträge vergeben. (Luise Ungerboeck, Walter Müller, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 3.2.2007)