Frankfurt/Zürich/Belgrad/Budapest - Die Kosovo-Vorschläge des UNO-Sonderbeauftragten Martti Ahtisaari stehen am Samstag im Vordergrund von Pressekommentaren:

"Frankfurter Allgemeine Zeitung" (FAZ):

"Belgrad wird mehrheitlich das bekannte Wehgeschrei vom bedrohten Amselfeld anheben, welches fremde Mächte den Serben zum zweiten Mal nach 1389 entreißen wollten. Doch so schwer die Entwicklung auch zu verkraften sein mag für die Serben - tatsächlich sind Ahtisaaris Empfehlungen ein Segen für ihr Land. Sie können Serbien von einer Bürde befreien, die es wirtschaftlich nicht tragen kann und politisch nicht tragen will. Gleichzeitig berücksichtigt der Plan die berechtigten Interessen der serbischen Minderheit und der orthodoxen Kirche im Kosovo (auch wenn die Serben aus 'ihrer' Provinz weiter abwandern werden). Ahtisaaris Plan enthält alle Elemente für die zweckmäßige Entschärfung eines Konflikts, für den es eine ideale Lösung nicht gibt. Allerdings trägt er notgedrungen auch den Keim des Quotenübels in sich, das schon die Friedenslösungen in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien geprägt hat und das den Aufbau funktionierender Staaten dort bis heute zumindest erschwert. In Sarajevo wie in Skopje treibt der ethnische Schlüssel bei der Verteilung von Ämtern und Posten zum Teil bizarre Blüten. Auch im Kosovo soll nun eine Proporzdemokratie entstehen, in der Volkszugehörigkeit Eignung ersetzt. Dass aber der Staat und die Interessen aller seiner Bürger leiden, wenn die Schaltstellen nur nach der ethnischen Zugehörigkeit besetzt werden dürfen, zeigen die Beispiele aus der Nachbarschaft. Proporzsysteme laden zum Missbrauch durch Volksgruppenführer ein."

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Mit den Empfehlungen Ahtisaaris sind die Grundlagen für einen neuen albanischen Staat auf dem Balkan gelegt. Kosovo soll auch de jure von Serbien abgetrennt werden und eine eingeschränkte, international überwachte Souveränität erhalten. Der Prozess der Bildung neuer Staaten auf dem westlichen Balkan befindet sich damit, siebzehn Jahre nach dem Beginn des blutigen Zerfalls Jugoslawiens, in der Endphase. (...) Damit würde dem Selbstbestimmungsrecht der Kosovo-Albaner ein höheres Gewicht beigemessen als dem Prinzip der territorialen Integrität Serbiens, an der in der UNO-Resolution 1244 von 1999 festgehalten wird. Zu einer eingeschränkten Souveränität Kosovos gibt es realistischerweise keine Alternative, mögen die völkerrechtlichen Bedenken und die Befürchtungen wegen der Schaffung eines Präzedenzfalles noch so groß sein. Ebenso wie bei den Bosnien-Verhandlungen in Dayton 1995 ist es auch hier die Macht des Faktischen, welche die Lösung aufzwingt, so unbefriedigend das sein mag."

"Blic" (Belgrad):

"Eine territoriale Aufteilung und die Abgrenzung zwischen den Völkern, die offensichtlich nicht zusammen leben können, ist eine weniger schlechte Option als der Verlust der Provinz mit den Bildern der traurigen Flüchtlingskolonnen, die sich Richtung Heimat bewegen. Der Norden Kosovos an Serbien, der Rest an die albanischen Mehrheit... Das Ablehnen der Teilungsidee und das Beharren auf dem Grundsatz des internationalen Rechts, der offensichtlich nicht für Serbien gilt, ist ein sicherer Weg in eine noch größere Frustration. Kosovo wird uns nicht näher werden, aber Europa dafür viel entfernter."

"Nepszabadsag" (Budapest):

"Wie jeder dieser Präzedenzfälle ist auch die Unabhängigkeit des Kosovo mit großen Risiken behaftet. Die geringsten liegen am Schauplatz selbst: Es mag noch zu heftigen Ausschreitungen kommen, doch einen neuen albanisch-serbischen Krieg wird es nicht geben. Die Albaner brauchen ihn nicht, für die Serben wäre er hoffnungslos. Ein größeres Risiko besteht darin, was aus Serbien werden soll. Das weiß vorerst niemand. Genauso, wie man nicht weiß, an welchem Punkt der Welt nicht irgendeine nationale Minderheit die Lehre daraus ziehen wird: Sieh an, der Traum von eigenständiger Staatlichkeit ist doch nicht hoffnungslos. Ein Erstarken solcher Träume kann sich leicht zum Albtraum auswachsen."

"Les Dernières Nouvelles d'Alsace" (Straßburg):

"Kann man sich einen Staat vorstellen, der kaum größer ist als das Elsass, aber von 17.000 NATO-Soldaten kontrolliert wird? Der zwar theoretisch souverän ist, aber unter der Vormundschaft der Europäischen Union steht? Der darüber hinaus von finanziell autonomen Kantonen durchsetzt ist, die von einem feindlichen Nachbarn finanziert werden und sich seiner Zentralgewalt entziehen? Dazu kommt, dass dieser Pseudostaat fast so arm ist wie die rückständigsten Länder der Dritten Welt und völlig am internationalen Geldtropf hängt. Unvorstellbar in Europa, nur eine oder zwei Flugstunden von Frankreich, Deutschland, Italien oder Österreich entfernt? Doch genau dieses Schicksal haben die Vereinten Nationen und die Europäische Union für Kosovo vorgesehen. Mangels eines besseren und angesichts der Unmöglichkeit, die Unbeugsamkeiten auf albanischer wie auf serbischer Seite miteinander zu versöhnen."

"Süddeutsche Zeitung" (München):

"Der Vorschlag Ahtisaaris verleiht dem Kosovo eine faktische Unabhängigkeit mit beschränkter Souveränität unter internationaler Aufsicht. In dem Konzept wird der serbischen Provinz, die zu neunzig Prozent Albaner bewohnen, die Unabhängigkeit jedoch explizit nicht zugesprochen; auch wird Belgrad die Souveränität über die Provinz nicht abgesprochen. (...) Letzte Autorität wird ein Internationaler Ziviler Repräsentant sein, der in einer Person EU-Sondervertreter ist. Diese zentrale Person aus dem Ausland wird weit reichende Befugnisse haben. (...) Alle Auslandskredite, die Serbien wegen des Kosovo aufgenommen hat, müssen die Albaner künftig selber tilgen. Bewegliches und unbewegliches Eigentum des ehemaligen Jugoslawien oder Serbiens im Kosovo soll in den Besitz der Provinz übergehen."

"Stuttgarter Nachrichten":

"Zwei Argumente werden vorgebracht gegen die Unabhängigkeit. Das eine: Auf Serbien wirke es erniedrigend, wenn ein Teil seines Territoriums auch rechtlich abgeschnitten würde. Das andere: Wenn die Kosovo-Albaner ihre Unabhängigkeit durchsetzten, würden es ihnen Kurden oder Abchasen, Basken oder Iren bald gleichtun. Doch beide Argumente sind nicht stichhaltig. Wenn die Kränkung eines nationalen Selbstgefühls mehr wiegt als die Interessen von zwei Millionen Menschen, dann ist vor allem dieses Selbstgefühl das Problem. Dabei geht es nicht darum, wer Recht hat oder wer gewinnt. Wenn sich die Serben im Kosovo mit ihrem Status in einem albanischen Umfeld versöhnen, bietet das auf lange Sicht den besten Schutz. (...) Wer einen Präzedenzfall fürchtet, muss im Fall Kosovo wissen: Wenn sich eine ganze Volksgruppe erhebt, tut sie das aus einem triftigen Grund. Es wird sich kein Aufstand abwenden lassen, indem man den Unterdrückten die einschlägigen Paragrafen des Völkerrechts vorliest. Die Albaner haben unter Slobodan Milosevic fast ein Jahrzehnt lang stillgehalten. Dann hat sich die Jugend nicht länger beschwichtigen lassen. Was geschehen ist, ist geschehen - rückgängig machen lässt es sich nicht mehr. Das Ergebnis gehört nun anerkannt."

"Helsingin Sanomat" (Helsinki):

"Ahtisaari hat mit seinem Vorschlag kein in Stein gehauenes, letztes Angebot abgeliefert. Er ließ beiden Seiten die Möglichkeit, in diesem Monat noch Änderungswünsche vorzubringen, bevor der Vorschlag an den UNO-Sicherheitsrat weitergeleitet wird. Das Angebot könnte allerdings eher theoretischen denn praktischen Wert besitzen, da Belgrad und Pristina schon lange Monate Zeit hatten, ihre Standpunkte zu festigen."

"Die Welt":

"Obwohl Ahtisaari Serben und Albanern noch einmal Zeit für Gespräche gibt - der Startschuss für eine Unabhängigkeit des Kosovo ist endgültig gegeben. Das ist auf jeden Fall gut so. Angesichts des gefährlichen Vakuums, das in sieben Jahren UN-Verwaltung geschaffen wurde, bedarf es klarer Signale. Diese Signale richten sich zuvorderst an Belgrad. Die Regierung von Vojislav Kostunica hat bisher alle Register gezogen, um Zeit zu gewinnen. Dieses Spiel macht die internationale Gemeinschaft nicht mehr mit. Ahtisaaris Entwurf sendet zugleich eine Botschaft an die Kosovo-Albaner: Ihr bekommt den Grundstock für eine Unabhängigkeit samt Flagge und Hymne. Ihr könnt eure eigene Verfassung ausarbeiten und danach binnen neun Monaten Wahlen abhalten. Dies ist ein großer Vertrauensvorschuss für Pristina, mit dem es hoffentlich umzugehen weiß. Doch allen klaren Zeichen zum Trotz bleibt Kosovo ein Provisorium - das überdies auf instabilem Fundament gebaut ist."

"Neues Deutschland" (Berlin):

"Sorgsam vermied Ahtisaari in seinem Plan das Wort 'Unabhängigkeit'. Tatsächlich unabhängig soll die Provinz auch gar nicht werden: Die EU behält sich die politische Kontrolle vor, die NATO-kommandierte Schutztruppe das militärische Eingreifen. Aber nicht deshalb umschleicht der Finne das magische Wort wie die Katze den heißen Brei, obwohl sein Plan auf nichts anderes als die endgültige Trennung Kosovos von Serbien hinausläuft. Dabei hatte die internationale Gemeinschaft stets gepredigt, nur jene Teile von Bundesstaaten könnten sich einseitig für unabhängig erklären, denen das 'Scheidungsrecht' zumindest theoretisch nach der Bundesverfassung zustand. Was der Vermittler nun vorschlägt, ist also Wortbruch. Und nicht nur das. Vornehm umschrieben heißt es, im Falle Kosovo werde neues Völkerrecht gesetzt. Auf Deutsch: Bestehendes Völkerrecht soll gebrochen werden. Wohlgemerkt zu einer Zeit, da Serbien nicht einmal über eine handlungsfähige Regierung verfügt. Kann man dies in Belgrad eigentlich anders verstehen denn als Fortsetzung des NATO-Krieges durch angebliche 'Vermittlung'?"

"Der Tagesspiegel" (Berlin):

"Offenes Geheimnis ist, dass das Festhalten am Kosovo ein Klotz am Bein für das nach drei angezettelten und verlorenen Kriegen bankrotte Serbien bedeuten würde. Wie sollte die marode Republik aus Belgrad Finanzhilfe erhalten, wo man nicht einmal den eigenen Beamten gute Gehälter und Pensionen zahlen kann? Wie ließen sich tausende junger albanischer Männer in eine serbische Armee eingliedern? Gar nicht. So nimmt Ahtisaari den Serben eigentlich eine Sorge ab. Zugeben darf das freilich niemand, denn faule Ware wird billig. So vernünftig Ahtisaaris Entwurf ist, noch lesen wir den Bauplan eines Traumschiffs. Sein Stapellauf muss im Sicherheitsrat beschlossen werden, wo Moskau und Peking im Kosovo einen Präzedenzfall für Gebiete wie Südossetien, Abchasien und Taiwan fürchten. Was Russland und China bewegt, das wird entscheidend sein für das Los des Kosovo." (APA)