Zu Peter Huemers ALBUM-Essay "Zeitgeistjustiz"
STANDARD vom 8. 7. 2000
Dass einige Richter Dr. Gross auch nach seiner Streichung aus der Liste als Sachverständigen beizogen, ist in der Tat rätselhaft oder zumindest mehrdeutig. Pure Gedankenlosigkeit, gesellschaftspolitische Instinktlosigkeit, Unsensibilität und sehr bedenkliche Uninformiertheit sind zu vermuten. Bedauerlich, wenn zwischen (für Richter und von den Richtern) durchaus erwünschter individueller parteipolitischer Abstinenz und kurzsichtiger staats- und gesellschaftspolitischer Ignoranz nicht unterschieden werden konnte. Leider - aber auch nicht mehr. Vor allem kein gegenseitiges "Verstehen von Schicksalsgefährten" und schon gar keine angebräunte Erbsünde der Richterschaft der Zweiten Republik! Im Übrigen sind die Fälle Gross, Pelinka und Windholz offen. Richter äußern sich in diesem Stadium medial nicht.
Der Begriff "Behördenkumpanei" zwischen Polizei und Gerichten macht trotz seiner unreflektierten Polemik immerhin eins deutlich: Einerseits sind die Gerichte von Gesetzes wegen bei der Untersuchung von Straftaten wesentlich auf die Arbeit der Kriminalpolizei angewiesen, zum anderen haben sie die Gesetzmäßigkeit dieser Arbeit zu überprüfen.
Auf formalrechtlicher Ebene nichts Außergewöhnliches. Aber im psychologischen Bereich in jedem einzelnen Fall der Behauptung gesetzwidriger polizeilicher Intervention eine besondere Herausforderung. Die gilt es immer wieder bewusst zu machen, um nicht in einseitige Schablonen zu verfallen. In der Aus- und Fortbildung der Richter wird dies verstärkt thematisiert.
Dazu passt, dass nach einem vom Justizministerium formulierten und von der Richtervereinigung im Kern gebilligten Entwurf künftig das Gericht hauptgewichtig die Funktion des Urteilenden (und nicht mehr des auch vorher Untersuchenden) einnehmen soll. Weitgehende Entflechtung polizeilicher und gerichtlicher Aufgaben ist angesagt.
Wolfgang Aistleitner
Vizepräsident der Vereinigung
der österreichischen Richter