Jeweils montags, mittwochs und freitags eine Stadtgeschichte von Thomas Rottenberg

Es war heute. Da hat sich dann H. gemeldet. Weil er der Ansicht ist, dass seiner Gemeinde Unrecht geschehen sei. H. ist nämlich der Cheftouristiker jenes Kärntner Skigebietes, das ich letztens als für mich gestorben bezeichnete. Und dass ich ein Tourismusmensch das nicht gerne öffentlich sagen lässt, ist ja wohl klar. Noch dazu wenn er davon überzeugt ist, zu unrecht zum Handkuss zu kommen.

Denn so drastisch, wie ich es aus jenem Artikel im Sonntags-Kurier heraus gelesen hatte, versichert H., sei die Sache nicht: Von einer akkustischen Totalverötzisierung des Skigebietes von Bad Kleinkirchheim könne keine Rede sein – im Gegenteil: Auch er, gab H. in einigen Mails die da zwischen uns hin und her flogen zu verstehen, auch ihm gehe das Zwangsgebollere in und aus jeder Skihütte einigermaßen auf den Keks. Und auch ihm – dem Profi - erschließe sich die Notwendigkeit zur Dauerbeschallung in Hörsturzlautstärke nicht.

Chillig

Aber die Sache, betont H., sei auch mitnichten so schlimm, wie ich sie dargestellt hätte: Lediglich eine Spur Klassik oder Easy Listening wäre es, die man da in Kärnten auch am Lift auf die Kunden loslasse. Chillige Tunes, um kurze Wartezeiten zu planieren. Klassische Harmonien im Kassenbereich, um das Bezahlen der Liftkarten fröhlicher zu gestalten – von ötzigem Gebollere, ballermanschem Saufgesang oder Liftstützen im Kornfeld solle, könne und dürfe keine Rede sein.

Schon im Sinne des Mitarbeiterschutzes: Ein Liftwart, der den ganzen Tag Antonia auf „heavy Rotation“ ausgesetzt ist, könnte eventuell durchdrehen, gibt H. zu verstehen. Und was passieren könne, wenn der Mann am Ein/Aus-Schalter der Gondelbahn „einen-Meter-vor-zwei-Meter-zurück“-Schunkelspiele vom Zaun bricht, wollen weder H. noch ich uns ausmalen: Es läge, so der Touristiker, im Ermessen des Liftwartes, die Musik ein- oder auszuschalten. Aber bisher habe man vor Ort vor allem positives Feedback bekommen. Von den Gästen.

Tönender Irrsinn

Gerne möchte ich H. glauben. Zu gerne. Aber ich bin dennoch skeptisch: Wieso Hüttenpersonal die tägliche Überdosierung mit tönendem Fidel-Tälerirrsinn zugemutet werden kann (und wird) ohne, dass man fürchtet, dass diese in meinen Augen meist doch recht robusten Menschen an Leib und Seele schweren Schaden nehmen, während man Liftpersonal eher für sensibel, empfindsam und empfindlich hält habe ich aber ganz vergessen bei H. nachzufragen.

Denn H. hat einen anderen Punkt ins Spiel gebracht: ganz abgesehen von der uns allem Anschein nach einenden Ötzo-Phobie erwähnte er einen kleinen Widerspruch, der ihn mitunter schwer irritiere: Volkmusik sei, meint H (und wir haben die Debatte was Volksmusik, was volkstümlich und was volksdümmlich ist auf irgendwann auf einer höchsten jazzig-chillig-flüsternd beschallten Sonnenterasse verschoben) nämlich, doch etwas regionales., Drum hießen so viele Kapellen ja auch nach ihrer Heimat.

Tirol in Kärnten

Und, so H., es habe nichts mit übertriebenem oder gar dumpfem Patriotismus zu tun, wenn es ihm komisch vorkomme, wenn er da auf einem Kärntner Berg dreimal pro Stunde etwas über „die Berge Tirols“ oder das Blut der Steirer höre. Ebenso seltsam, setze ich hinzu, ist es aber auch, im Zillertal die Schönheiten des Gailtales zu loben – vor allem dann, wenn man als Fremder jedes Wort versteht: Mit ein Segen der alpinen Dialekte ist schließlich, dass sie von anderswo lebenden schlicht nicht dechiffriert werden können – egal wovon das Lied selbst handelt.

Nur: Das entfällt, sobald Älpler im globalen Musikantenstadl-Großraum-Frankfurt-Deutsch (oder bestenfalls mit Münchner Zungenschlag) trällern: So hochdeutsch, wie da gejodelt wird, kann ich nicht einmal unter Aufbietung all jener Kräfte sprechen, mit denen ich im Innenstadtgymnasium meine Favoritner Wurzeln zu verstecken suchte. Aber eigentlich ist das egal: Als ich im Jänner hoch über Stuben am Arlberg auf meiner absoluten Lieblingshütte in Pistennähe saß, hatte ich dort von allen Anwesenden so ziemlich den alpinsten Zungenschlag: Das Personal stammte zur Gänze aus der Ex-DDR. Sehr nette Leute. Keiner von ihnen kann wirklich Skifahren – und keiner von ihnen hätte, sagten sie, bei Dulliöh-Beschallung auch nur einen Arbeitstag überlebt: Die Hütte war und ist musikfrei.