Gabriele Michalitsch
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Neoliberales Denken zähmt uns alle – und das auf die denkbar effizienteste Weise: von innen, indem die und der einzelne die Glaubenssätze verinnerlicht und ökonomische Prinzipien in immer mehr Lebensbereichen den Ton angeben lässt.

Mehr noch: "Neoliberalismus impliziert Patriarchalismus". Der Siegeszug neoliberaler Sichtweisen verstärkt die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern.

So weit zwei der provokanten Thesen des jüngsten, im Campus Verlag erschienenen Buches von Gabriele Michalitsch mit dem seiner schweren Kost in nichts nachstehenden Titel "Die neoliberale Domestizierung des Subjekts. Von den Leidenschaften zum Kalkül". Mit dieser Arbeit hat sich die Wiener Politikwissenschafterin, Ökonomin und Geschlechterforscherin nicht weniger vorgenommen als die gedanklichen Wurzeln zu sezieren, die heute längst nicht mehr nur die Wirtschaft bestimmen, sondern auch die Politik, das Verhältnis von Staat und Privat – und sich vor allem in unseren Köpfen ausgebreitet haben.

Verknüpfungen

Dabei holt die Autorin weit aus: Sie verknüpft philosophische, politikwissenschaftliche und ökonomische Theorien und entwickelt daraus ebenso neue wie originelle Querverbindungen und Schlussfolgerungen. Zusätzlich betrachtet sie die Sachverhalte mit gendersensiblem Blick. Diese "innovative" Herangehensweise und die "unorthodoxen Einsichten", die sich "aus transdisziplinären Perspektiven ergeben", waren auch die wesentlichen Argumente, derentwegen Michalitsch für diese Arbeit 2003 mit dem Gabriele-Possanner-Förderungspreis ausgezeichnet wurde. Zusätzlich tut die Wissenschafterin das alles noch in einer Sprache, der zu folgen ein Vergnügen ist, wobei der Stil variiert: In der Einleitung und bei den "Conclusiones" kann es ganz schön literarisch und hoch fliegend werden, zwischendurch zeigt sich die akribische Wissenschafterin. Nicht zu überlesen ist die Begeisterung für die Materie.

Theoretische Einbettung

Zu Beginn des Buches erläutert Michalitsch die theoretische Einbettung. Im Mittelpunkt stehen poststrukturale Ansätze wie etwa jener von Judith Butler, deren These, Geschlecht werde durch Wiederholung von Handlungen bloß konstruiert, feministische Diskurse stark geprägt hat. Um zu erklären, wie es dem Neoliberalismus gelingt, sich so erfolgreich durchzusetzen, bezieht sich Michalitsch auf Michel Foucault: Laut ihm besteht eine wesentliche Dimension von Macht im Erzeugen wahrer Diskurse – und darin, Menschen mittels solcher Diskurse zu führen und zu formen, ja hervorzubringen.

Der Begriffsbestimmung des Neoliberalismus folgt eine Erklärung der Grundideen, auf denen neoklassische und neoliberale Theorien aufbauen. Vorweg die Botschaft: Es handle sich bloß um Theorie, nicht um ein Naturgesetz, sondern um eine Beschreibung menschlichen – veränderbaren – Verhaltens. Weiter erklärt die Wissenschafterin die Prämissen des zentralen Akteurs, des homo oeconomicus, der immer in Kosten-Nutzen-Aspekten denkt und immer rational handelt. Damit, so Michalitsch, sei es gelungen, die als gefährlich geltenden Leidenschaften zu zähmen. Und mit dem Neoliberalismus sei dieses Prinzip radikalisiert worden: Jeder soll sein eigenes Produkt sein, und dieses gilt es bestmöglich zu vermarkten. Die und der einzelne gilt nicht länger als das Produkt von Gesellschaft und System, viel mehr sei jeder seines Glückes Schmied und Eigenverantwortung alles. Was die Autorin als bei Weitem überzogen sieht. Schließlich erklärt sie den Zusammenhang von Globalisierung und Neoliberalismus – den sie nicht für zwingend hält: Globalisierung sei wünschenswert, aber anders gestaltbar.

Aber das betrifft doch alle gleichermaßen, werden nun viele einwenden – was soll das jetzt schon wieder mit Frauen und Männern zu tun haben?

Unterscheidung und Folgen

Wie die Autorin analysiert, hat das aktuell vorherrschende Denkgebäude von Anfang an zwischen Frauen und Männern unterschieden und gerade Frauen nicht mitgemeint. Und das hat bis heute Folgen.

So war der homo oeconomicus von Anfang an als von privaten Verpflichtungen unbelecktes, unabhängiges und egoistisches Individuum konzipiert, das nicht mit Dingen wie Betreuungspflichten belastet war. Unbezahlte Arbeit im Privaten war nicht als Teil der Ökonomie mitgedacht. Aufschlussreich ist auch der Hinweis auf eine der Wurzeln der sich bis heute so hartnäckig haltenden Einkommensunterschiede: Diese wurde zu Zeiten der Geburt des homo oeconomicus, im 18. Jahrhundert, als nur natürlich und gerecht empfunden – man meinte, eine Frau brauche doch nur so viel verdienen, dass sie sich selbst durchbringen kann, ein Mann aber müsse eine ganze Familie ernähren können.

Konsequenzen

Solche Denkweisen wirken bis heute nach, und die Konsequenzen sind eben in einer Gesellschaft wie der unseren – in der die Zuständigkeiten für Erwerbsarbeit, Betreuung und unbezahlte Arbeit völlig ungleich verteilt sind – auch heute für Frauen und Männer nicht gleich. Entsprechend ist auch Michalitschs Postulat nachvollziehbar, dass sich unter aktuellen neoliberalen Handlungsprämissen Ungleichheiten zwischen Geschlechtern wieder verstärken. Wenn im Zuge von Einsparungen und Privatisierungen öffentliche Unterstützungsleistungen wie Kinderbetreuungseinrichtungen oder Hauskrankenpflege eingeschränkt, nicht in ausreichendem Maße oder nicht für alle leistbar angeboten werden, dann wirkt sich das – unter den gegebenen Verhältnissen! – auf Frauen anders und viel stärker aus. Sie sind es, die in der Folge neoliberaler politischer Maßnahmen unbezahlte Leistungen wieder verstärkt erbringen, ihre Erwerbstätigkeit einschränken, Armutsrisken noch stärker ausgesetzt sind und finanzielle Unabhängigkeit noch mehr einbüßen. Diese unterschiedlichen Konsequenzen analysiert Michalitsch auch anhand der Deregulierung des Arbeitsmarktes und an den Staatsfinanzen.

Abschließend spitzt Michalitsch ihre Thesen noch einmal zu: Ein zentrales Element neoliberalen Regierens bestehe "in der Formierung von Subjektivität", die sich selbst formiert, an den Markt geknüpft ist und der Geschlecht eingeschrieben ist: "marktförmige Männlichkeit, häusliche Weiblichkeit". Auch wer den Postulaten der Autorin zumindest nicht in allem folgen will – viele werden dagegen rebellieren, sie würden von irgendetwas gelenkt oder gar "hervorgebracht" –, findet in dem Werk ungewohnte Sichtweisen, die das eigene Weiter-Denken um wertvolle Fassetten bereichern. (Gerlinde Pölsler)