Am 1. Oktober 2006 haben die Wählerinnen und Wähler der regierenden Koalition, also vor allem der praktisch allein regierenden ÖVP in spektakulärer Weise das Vertrauen entzogen, ohne es der SPÖ in einem besonderen Maß auszusprechen. Das zeugte von einer gesunden Urteilskraft, was die jeweilige Regierungsfähigkeit der Parteien betrifft, erwies sich aber insofern als ungesund, als sie damit ihr Misstrauen so gleichmäßig portionierten, dass die davon Geplagten gar nicht anders konnten, als sich zusammenzuschließen. Alles andere hätte ein wenig Mut erfordert - aber woher nehmen?

Inzwischen wird von Tag zu Tag deutlicher, dass der ÖVP, wie groß immer der Schock über die ihr zuteil gewordene Abfuhr war, gar nichts Besseres hätte widerfahren können, als sich aus der Position des formal Zweiten in die Betrachtung zu versenken, wie sich ein roter Bundeskanzler nicht nur mit der Hinterlassenschaft der letzten sieben Jahre, sondern auch mit dem Bruch seiner vor der Wahl gegebenen Versprechen und der sich abzeichnenden finanziellen Erosion des angekündigten Programms einer allgemeinen Wende zum Besseren her-umschlagen muss.

Wenn sein Vize, kaum ist die Koalition im Amt, in salbungsvollen Worten erklärt, die Arbeit dieser Regierung baue ohnehin auf jener der vorigen auf und im Übrigen werde er alles daransetzen, dass die ÖVP die nächsten Wahlen gewinnt, lässt sich abschätzen, wie es weitergehen wird - schließlich sagt er das ja nicht nur aus der Position des Parteiobmannes heraus, sondern auch aus der eines Finanzministers, was seinen Fahrplan mit höherer Autorität ausstattet.

Vielleicht ist es diese düstere Perspektive, die Alfred Gusenbauer von einem Fettnäpfchen in das nächste treten lässt. Vorläufig letztes Beispiel ist das Einschlagen auf die EU im Zusammenhang mit der Zulassung deutscher Medizinstudenten an Österreichs Universitäten. Dieser Stil, sich mit Brüssel auseinanderzusetzen, ist peinlichster Populismus, wider besseres Wissen und unter dem bisherigen Europa-Niveau der SPÖ.

Hauptsache, der Kronen Zeitung gefällt's, scheint die Devise zu sein, und ein Aufmacher wie "Gusenbauer, Merkel lassen EU abblitzen" kann gar nicht blödsinnig genug sein, als dass man dahinter nicht erkennen könnte, auf welchen Koalitionspartner die SPÖ offenbar wirklich zu setzen beabsichtigt. Wird aber nichts helfen. Der grundlegende Defekt dieser Koalition, dass erstmalig der Finanzminister nicht der Partei des Bundeskanzlers angehört, lässt sich über den Boulevard nicht reparieren. Das wird sich in den nächsten Wochen erweisen, wenn rund fünfzig Arbeitskreise ihr segensreiches Wirken entfalten sollen, und die Grundfrage, was es kosten darf, überall schlagend wird.

Da hilft es auch nichts, der FPÖ schöne Augen zu machen. Auf die Milde, die der Bundeskanzler Straches "Jugendtorheiten" gegenüber walten ließ - was dieser übrigens gleich vergalt, indem er österreichi-schen Medien "Stürmer"-Qualitäten bescheinigte -, wollte auch der neue Bundesgeschäftsführer diese Woche im ORF-Report eine rot-blaue Koalition "nicht ausschließen".

Mit einer derart raffinierten Strategie wird sich die ÖVP kaum zähmen lassen, um ein geflügeltes Wort aus der vorigen Legislaturperiode aufzunehmen. Damit macht man die Strache-Truppe in jenen Kreisen von SPÖ-Wählern, die ohnehin für manche blaue Parolen anfällig sind, vollends salonfähig, Wähler, denen vor der FPÖ und vor jedem Kontakt mit ihr graust, vertreibt man.

Dabei bräuchte Darabos nur den Eurofighter-Vertrag zu stornieren, und alles wäre gut! Fast. (Günter Traxler/DER STANDARD, Printausgabe, 9.2.2007)