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Die Schwierigkeit des "Sichtbarmachens"

SPÖ und Grüne starten neue Initiative zur Abschaffung des Paragraphen

KOMMENTAR
Österreich zuletzt
Daniel Glattauer

Wien - Selten hat ein derart kurzer Prozess so großes Publikumsinteresse erregt: Nur zehn Minuten dauerte am Mittwoch im Wiener Landesgericht die Verhandlung gegen den 20-jährigen Zivildiener M.W., der sich wegen Paragraf 209 des Strafgesetzbuches ("Gleichgeschlechtliche Unzucht mit Personen unter 18 Jahren") verantworten musste. Er soll im vergangenen September mit seinem 16-jährigen Freund intim geworden sein. Zahlreiche Journalisten waren dabei, als der junge Mann zu einer - nicht rechtskräftigen - bedingten Geldstrafe verurteilt wurde. "Erzählen's die Wahrheit, dann wird es nicht so schlimm werden", forderte Einzelrichter Andreas Böhm den Beschuldigten auf. Dieser ließ sich nicht lange bitten und bekannte sich schuldig. Demnach hat das sexuelle Verhältnis mit dem Burschen, den er in einer Wiener Diskothek kennengelernt hatte, ungefähr zwei Wochen gedauert. Der Partner habe bei allem freiwillig mitgemacht, beteuerte der damals 19 Jahre alte Mann. "Haben Sie gewusst, wie alt er ist?" - Michael W. bejahte die richterliche Frage. "Und Sie haben es trotzdem gemacht?", vergewisserte sich der Richter noch einmal. Als Antwort kam ein weiteres "Ja". Richter Böhm: "Das war es dann schon." Österreich schon lange aufgefordert, das Gesetz zu streichen Länger als die Befragung des Beschuldigten dauerte das Schlussplädoyer des Verteidigers. Anwalt Helmut Graupner war sich darüber im Klaren, dass sein Mandant verurteilt werden wird. Aber Schaden, so betonte der Verteidiger, habe er niemanden zugefügt. Zusatz: "Das Strafverfahren gegen ihn ist das wahre Unrecht!" "Mein Mandant hat nichts anderes getan, als was andere Jugendliche auch tun. Aber sein Partner hatte das 'falsche' Geschlecht", meinte Graupner, der dies als "strafrechtliche Diskriminierung" wertete. "Österreich wird schon seit Jahren aufgefordert, dieses Gesetz zu streichen. Wir werden auch eine Antragstellung beim Verfassungsgerichtshof anregen", so der Verteidiger. "Gesetz ist politische Entscheidung" Richter Böhm ließ sich auf keine Diskussionen ein: "Das Gesetz ist eine politische Entscheidung, das geht uns nichts an." Michael W. wurde zu einer bedingten Geldstrafe in der Höhe von 4.500 Schilling verurteilt. Als einen von mehreren Milderungsgründen nannte der Vorsitzende den Umstand, dass die Initiative auch vom Opfer ausgegangen ist. Der einstige Freund hatte den Behörden übrigens selbst von der Affäre mit dem Beschuldigten erzählt. Er war vernommen worden, als er nach der Trennung von Michael W. im Auto eines anderen Mannes bei Intimitäten ertappt worden war. Der Verteidiger des Beschuldigten meldete nach der Urteilsverkündung umgehend Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. (APA)