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"Integrität, geleitet von sozialer Über-zeugung": Studenten in Chicago werben für Obama.

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Mutter aus dem US-Hippiemilieu, Vater aus Kenia: Barack Obamas Lebenslauf liefert Stoff für Hollywoodmärchen.

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Barack Obama? Der Name löst bei Cheryl Johnson eine solche Gefühlsaufwallung aus, dass sie schlagartig aufhört, in ihren Akten zu wühlen. Die Statistik, die wissenschaftlich belegt, wie skandalös hoch das Krebsrisiko in den Altgeld Gardens immer noch ist, ist nicht mehr so wichtig. Jetzt geht es um Amerikas neuen Wunderknaben, und zu ihm hat Cheryl Johnson ein paar klare Worte zu sagen. "Mom hat ihn umsorgt wie ihren eigenen Sohn. Und wie dankt er es ihr? Indem er sich nicht mehr meldet. Kein Anruf, nichts. Seit er in Harvard war, sind wir für ihn nur noch Luft."

Mom, das ist Hazel Johnson, eine schwarze Bürgerrechtlerin, die Alarm schlug, als klar wurde, wie verseucht das Land war, auf dem ihre Siedlung stand. 1945 für Kriegsheimkehrer gebaut, zwängen sich die Altgeld Gardens mit ihren zweistöckigen Häuserkästen zwischen Mülldeponien, Chemiefabriken und eine lärmende Autobahn. Eine Wohninsel, umgeben von Industrie. Früher lag hier ein Sumpf, in den die Waggonbauer von Pullman giftige Flüssigkeiten entsorgten.

Es sind fast nur Schwarze, die hier leben. Der Drogenhandel floriert. Seit Neujahr gab es drei Morde, keiner der Täter war älter als 14. "Schießt nicht! Ich will erwachsen werden", steht auf kleinen Postern. Und als Erfolg verbucht Cheryl Johnson schon, dass wieder ein Linienbus in das vergessene Viertel fährt. "Obama sei Dank, denn eines muss man ihm lassen: Organisieren kann er schon gut."

Es ist 20 Jahre her, dass der schillerndste Newcomer der US-Politik bei den Johnsons am Küchentisch saß. Damals hatte "Mom" Hazel gerade einen Umweltverein gegründet, der in Wahrheit viel mehr war als ein Verein, nämlich der einzige Hoffnungsschimmer, der in dem Getto aufglomm. Ein cleverer Kopf namens Barack Obama wusste, welche Fördertöpfe man anzapfen musste, damit ein bisschen Geld floss. 1988 ging er nach Harvard, um Jus zu studieren.

Für Cheryl Johnson ist es die Wegscheide, an der er seine Wurzeln vergaß. Für James Meeks, den Pfarrer der Salem Baptist Church, ist es eine Art Eintrittskarte: "Harvard! Allein der Name! Hier ist ein Schwarzer, den alle akzeptieren. Weil er nach den Regeln des weißen Amerika spielt."

Diese Akzeptanz, das sei das eigentlich Neue, meint Meeks, ein Prediger, der zum Interview lässig in Turnschuhen kommt, aber sich sonntags so großartig in Schwung redet, dass er seine 20.000 Zuhörer schnell von den Sitzen reißt. Meeks weiß, wie man die Herzen der Menschen gewinnt. Er ahnt, weshalb sich das Land regelrecht verliebt in Obama: "Er hat sich von Kopf bis Fuß in die amerikanische Flagge gehüllt."

Das soll heißen, dass er kein Außenseiter mehr ist. Keiner, der aus der Nische heraus für die Bürgerrechte der Schwarzen kämpft, kein Jesse Jackson, kein Al Sharpton, keiner dieser Volkstribunen, die Großes leisteten, aber nie zu Präsidenten gewählt worden wären. "An Obama klebt kein Etikett", nennt Meeks einen weiteren Grund. "Er ist weder links noch rechts, er ist einfach ein leeres Blatt. Die Leute mögen das, denn auf ein leeres Blatt kann jeder malen, was ihm gefällt."

Allein die Biografie des Senators liest sich, als hätte jemand sie extra für ein Drehbuch über den amerikanischen Schmelztiegel geschrieben. Obamas Mutter, eine Weiße, stammt aus dem ländlichen Kansas. Sein Vater, ein Afrikaner aus Kenia, kam als Gaststudent in die USA. Baby Barack wurde auf Hawaii geboren, wo sich die Eltern seiner Mutter niedergelassen hatten.

Als der Bub zwei war, verließ sein Vater die Familie, um zu studieren – in Harvard. Später kehrte er nach Kenia zurück, und Baracks Mutter, eine Idealistin aus dem Blumenkinder-Milieu, heiratete ein zweites Mal, diesmal einen Indonesier. So wuchs Obama Junior in Südostasien auf, ehe ihn seine Großeltern auf Hawaii in ihre Obhut nahmen.

Ein solcher Lebenslauf liefert Stoff für eines dieser Märchen, aus denen Hollywood Filme macht. Mit Fleiß und Verstand erfüllte sich der Senkrechtstarter den "American Dream", nach dem jeder es schaffen kann, sofern er sich nur anstrengt. Und dass er der personifizierte Schmelztiegel ist, sowohl Einwanderer als auch Alteingesessener, sowohl Sozialarbeiter als auch Elitestudent, das verstärkt nur seine Anziehungskraft.

In Boston, wo er sich 2004 auf dem Parteitag der Demokraten mit einer einzigen Rede in die erste Liga katapultierte, hat Obama sein Credo so formuliert: "Es gibt kein liberales Amerika und kein konservatives Amerika, es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika. Es gibt kein schwarzes Amerika und kein weißes Amerika, kein Latino-Amerika und kein asiatisches Amerika, es gibt nur die Vereinigten Staaten von Amerika."

Schnelle Gegenattacke

Doch er beherrscht auch die Kunst der schnellen, fast lässigen Gegenattacke. Neulich erregten sich seine Kritiker darüber, dass sein zweiter Vorname (Hussein) auf eine verdächtige Nähe zum Islam schließen lasse. Statt lange Vorträge zu halten, sagte Obama nur: "Ich glaube, einem Amerikaner ist sein zweiter Vorname ziemlich egal."

Sein Sprungbrett, das war Chicago, das "schwarze Mekka". Die Stadt, in der eine starke, gebildete, unternehmerisch denkende afroamerikanische Mittelschicht schon früh die alten Fesseln ablegte, wirkte auf Obama wie ein Magnet. Dort lehrte er als Rechtsprofessor, dort schaffte er 1996 den Sprung in den Senat des Bundesstaats Illinois und 2004 in den der Vereinigten Staaten.

Ob es ihm nun gelingt, sogar das Weiße Haus zu erobern? Bei dieser Frage muss James Meeks länger nachdenken, als es sonst seine Art ist. "Ein Bewerber namens Obama, das ist noch nicht der Durchbruch. Den hatten wir schon, als 1984 Jesse Jackson erstmals für die Präsidentschaft kandidierte. Ein Durchbruch wäre es, würden ihn die Demokraten ins Rennen schicken." Besser als alle Worte verrät die skeptische Miene des Pfarrers, dass er noch nicht so recht an ein solches Wunder glaubt.

Cheryl Johnson wiederum hat den Darling der Medien nicht auf ihrer Favoritenliste, auch, aber nicht nur aus persönlichen Gründen. "Hey, ich bin ein Hillary Girl", ruft sie. "Die erste Frau im Weißen Haus, Ms. President Hillary Clinton, das wäre noch viel, viel interessanter." (Frank Herrmann aus Chicago/DER STANDARD, Printausgabe, 10./11.2.2007)