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Eine von fast sechs Millionen jungen Sattelrobben auf dem kanadischen Eis, und...

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...Jack Troake, einer von knapp 16.000 Jägern

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Warme Kinderfüße dank Robbenpelz: In Neufundland Teil der Lebensart

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Drei Schiffe hat Richard Gillett in den vergangenen elf Jahren schon im Sturm und Eis des Nordatlantiks verloren. Und dennoch wird der 35-Jährige Ende März, Anfang April wieder mit der "Lady Victoria II" den Hafen von Twillingate (siehe Grafik unten) verlassen. Um Robben zu erschießen. Denn hier, im Norden Neufundlands, sei die Jagd auf die Meeressäuger "wie ein Erbe. Tief in dir willst du genau das machen", sinniert der dreifache Vater.

Nur die wenigsten Schulkollegen des bulligen Mannes mit der Baseballkappe und der ärmellosen Weste aus Robbenfell haben diese Ansicht geteilt. "Von den 64 Leuten aus meinem Jahrgang leben nur mehr sechs hier. Der Rest? Hat die Stadt verlassen." Die durch Fischfang und Robben"ernte", wie es hier auch heißt, im 19. Jahrhundert reich gewordene kleine Gemeinde mit ihren Holzhäusern bot kaum Arbeit. Die Fische wurden weniger, für Robbenpelz brach der Markt weg.

Whitecoats

Denn schon Ende der 60er-Jahre wurden Männer wie Richard Gillett für Kanada ein Imageproblem. Durch Bilder von blutverschmierten Eisschollen, auf denen Robbenkadaver liegen. Bilder von Männern, die mit Keulen Welpen erschlagen. Von Prominenten wie Brigitte Bardot bis Paul McCartney, die weißpelzige Babyrobben, die so genannten Whitecoats, herzen. Diesen Bildern will Kanada etwas entgegenstellen. Und lud in Anbetracht wachsenden Drucks (siehe Kasten links) Medien aus EU-Ländern zum Besuch von Robbenjägern, Unternehmern und Wissenschaftern ein, um deren Sicht der Dinge zu präsentieren.

Wut auf den Ex-Beatle

Denn kaum ein Thema erregt die rund 500.000 Neufundländer mehr als die Wahrnehmung der Robbenjagd außerhalb ihrer Insel. Taxifahrer in der verschneiten Hauptstadt St. John's schimpfen auf Paul McCartney, sobald dessen Auftritt auf dem Eis im vergangenen Jahr erwähnt wird. Die Popularitätswerte von Danny Williams, Premier der Provinz und stolzer Träger von Robbenpelzmäntel, sind in die Höhe geschossen, nachdem er sich auf CNN mit dem Ex-Beatle einen Schlagabtausch geliefert hatte. "Die Robbenjagd wird human durchgeführt, hat eine lange Tradition und ist eine wirtschaftliche Notwendigkeit", referiert Williams. Neufundland habe seit 1993 zwölf Prozent der Bevölkerung durch Abwanderung verloren. Für die Fischer, die häufig keine Schulbildung haben, sei Robbenjagd wichtig.

Nachhaltigkeit, humane Jagdmethoden, möglichst vollständige Verwertung des Tieres. Schlagwörter, die von vielen Befürwortern der Jagd kommen. "Die Dinge haben sich dramatisch geändert", beteuert im "Anchor Inn" in Twillingate auch Jack Troake, 70 Jahre alt und seit 56 Jahren im Geschäft, während draußen der Schneesturm die Notre Dame Bay aufwühlt. Bis in die 50er-Jahre seien tatsächlich jedes Jahr abertausende Whitecoats erschlagen und liegen gelassen worden. In den 60ern habe man tatsächlich nicht sehr darauf geachtet, ob die Tiere wirklich tot sind, bevor man ihnen das Fell abzog.

Natürlich wirken die Bilder von rotem Blut auf weißem Eis abstoßend, gesteht er ein. "Aber in einem Schlachthof schaut es nicht anders aus." Den Vorwurf, ein Rohling zu sein, lässt Troake nicht auf sich sitzen. "Was für Vorteile hätte ich, wenn ich ein Tier nicht töte? Wenn ich es häute und es bewegt sich plötzlich, zerschneide ich das Fell und es ist wertlos", knurrt er.

Ein monetäres Argument, das für Kanadier den Tierquälereivorwurf der Gegner neutralisiert. Denn mit Robbenpelz ist dank starker Nachfrage aus Russland und China derzeit viel Geld zu machen. Bekamen die Jäger im Jahr 2000 für ein Fell umgerechnet 8,42 Euro, waren es im vergangenen Jahr rekordverdächtige 68 Euro.

Nur Zobel war 2006 noch teurer. Was Pelzmacher Bernie Halloran, Besitzer von "Vogue Furriers" in St. John's, eigentlich nicht versteht. "Der Preis war zu hoch. Betrachtet man die Vor- und Nachteile des Robbenpelzes für den Konsumenten, liegt man in der Mitte der Qualitätsskala", analysiert er. Doch missen will er Robbenfell nicht. "Ich schreibe ja auch keinem vor, was er tragen darf und was nicht."

Keine Sündenböcke

Matt Rice, "Senior Campaigner" der Tierrechtsorganisation PETA lässt dies kalt. "Tierhäute sind schlicht nicht dafür da, von uns getragen zu werden", stellt der 31-Jährige fest. Und bestreitet, dass Kanadas Robbenjäger als Sündenböcke herhalten müssen. "Es gibt viele Industriezweige und Länder, für die Tiere abgeschlachtet werden, der Focus auf die Robbenjagd ist nur ein Teil unserer Strategie."

In Wahrheit gehe es PETA oder anderen Organisationen wie dem "International Fund for Animal Welfare" (IFAW) oder der "Humane Society of the United States" (HSUS) mit ihren jährlichen Aktionen doch nur um Spendengelder, zürnen wiederum die Robbenjäger in Twillingate. Diese Gruppen hätten schließlich bis zu 132 Millionen Euro an Vermögen angehäuft – ihre Vision, die Robbenjagd stoppen zu können, würden sie aber nie verwirklichen können.

Dazu ist der Graben zwischen beiden Gruppen zu tief. Selbst wenn es Angebote geben würde, die Robben freizukaufen – die Jäger würden aus Tradition nicht mitmachen, beteuern auch die Bewohner der französischsprachigen Magdaleneninseln im St.Lawrence-Golf.

Hier wurden im Vorjahr rund 30 Prozent der 335.000 in Kanada zur Jagd freigegebenen Robben getötet, im Gegensatz zu Neufundland geht man gelassener mit dem Thema um. Hotels werben mit Bildern von White_coats, beim Fleischhauer liegen selbstgemachte Robbenfleischwürste ganz vorne in der Vitrine, ein Dokumentationszentrum bereitet die Themen "Robben" und "Robbenjagd" neutral auf. "Natürlich sind die weißen Robben putzig, warum sollte man sie nicht zeigen", fragt Jean-Claude Lapierre, Robbenjäger und Präsident der örtlichen Robbenjägervereinigung. Auf dem Recht, sie zu töten, sobald sie älter als drei Wochen sind, besteht er aber.

Denn dann seien die Jungtiere von ihrer Mutter bereits sicher verlassen worden und auf sich alleine gestellt, wie der auch von Umweltschützern anerkannte Robbenforscher Garry Stenson klar stellt. Er arbeitet für das Fischereiministerium und wirkt an der Festlegung der jährlichen Jagdquote mit. Wie viele Sattelrobben es überhaupt gibt, wurde zuletzt 2004 nach Zählungen mittels Luftaufnahmen und Beobachtern errechnet, derzeit sind es 5,8 Millionen, sagt Stenson. Für ihn steht fest, dass die Tiere keine bedrohte Art sind.

Gefahr Erwärmung

Den Jägern könnte dieses Schicksal dagegen drohen. Wenn nicht wegen Boykottmaßnahmen, dann wegen der Erderwärmung. "Fünf Jahre in Folge ist das Eis im Golf jetzt schon schlecht und bildet sich zu spät", rekapituliert Jean-Claude Lapierre. "Die Robben brauchen es, um darauf ihre Jungen zu bekommen und ziehen sich immer weiter nach Norden zurück", fürchtet er. Was die Fischer von den Magdaleneninseln in Konflikt mit jenen aus Neufundland bringen würde. Und damit mit Richard Gillett und seinem Sohn Cameron. Der ist zwar erst sechs Jahre alt, aber wenn sein Vater einen Wunsch hat, dann den, dass sein Sohn die Tradition fortführt. (Michael Möseneder, DER STANDARD print, 10./11.2.2007)