Alte Menschen wollen im eigenen Zuhause (weiter) leben. Um dies zu ermöglichen, hat sich (auch) in Österreich folgende Praxis verbreitet: Zwei Betreuerinnen aus Tschechien, der Slowakei oder anderen EU-Beitrittsländern wechseln sich in der Pflege ab, ein Turnus dauert 14 Tage, die Betreuerinnen wohnen bei der pflegebedürftigen Person und sind daher immer verfügbar.

Diese Form der Betreuung hat sich bewährt, geschätzte 40.000 Frauen leisten diese Pflegedienste. Die Praxis ihrer Vermittlung, Entlohnung und Qualitätssicherung widerspricht allerdings fundamental den Grundsätzen eines Sozialstaats:

1. Die Betreuerinnen erhalten in der Regel nur ein "Taschengeld" von 40 Euro pro Tag, dies entspricht einem Stundenlohn von etwa 3 Euro.

2. Da die Betreuerinnen "schwarz" arbeiten, sind sie weder kranken- noch pensionsversichert.

3. Von diesem Lohn müssen sie noch Provisionen an private Vermittler leisten, ebenso wie die betreuten Personen.

4. Wenn Angehörige nicht regelmäßig "nach dem Rechten sehen" können, lässt die Qualität der Pflege mit der Zeit immer mehr nach.

Minister Bartenstein hat nun eine arbeitsrechtliche Sonderregelung vorgeschlagen, welche diesem faktischen Betreuungsmodell entspricht: Während eines 14-Tages-Turnus arbeitet eine Pflegerin (maximal) 64 Stunden pro Woche (neun pro Tag) und hat zusätzlich 34 Stunden (fünf pro Tag) Bereitschaftsdienst. Eine solche Rahmenrichtlinie macht Sinn, allerdings nur dann, wenn sie durch Regelungen über das Beschäftigungsverhältnis, die Entlohnung und die Finanzierung ergänzt wird:

  • Bundeseinheitliche Richtlinien bestimmen die Qualitätsanforderungen (in der Regel wird ein Praxisnachweis genügen), die darauf abgestimmte (Mindest-)Entlohnung und jene gemeinnützigen Organisationen, welche berechtigt sind, die Pflege zu organisieren (Caritas, Diakonie, Volkshilfe, Hilfswerk, etc.).

  • Pflegebedürftige geben einer dieser Organisationen ihren Pflegebedarf bekannt, ebenso die Pflegerinnen ihr Arbeitsinteresse (auch bestehende Pflegeverhältnisse werden erfasst). Statt der vielfach unverschämt teuren Agenturen übernehmen somit die Hilfsorganisationen die Aufgabe der Vermittlung.

  • Die Pflegerinnen werden bei einer der Pflegeorganisationen angestellt, es gelten für sie sämtliche sozialrechtliche Standards (es wird keine neue Form atypischer Beschäftigung geschaffen).

  • Auch pflegende Angehörige können von der Pflegeorganisation angestellt werden.

    Wesentlich höhere Kosten

    Die Kosten einer Umsetzung des Bartenstein-Vorschlags werden wesentlich höher sein als bisher geschätzt. Bei einem Stundenlohn von lediglich acht Euro (bzw. vier für Bereitschaft) würde eine Pflegerin in 14 Tagen brutto 1.400 Euro verdienen, einschließlich der Arbeitgeberbeiträge und des aliquoten 13./14. Gehalts belaufen sich die gesamten Pflegekosten auf zwei Mal 2.000, also etwa 4.000 Euro pro Monat. An Pflegegeld stehen aber nur etwa 1.000 Euro zur Verfügung. Es ist offenkundig, dass kaum ein Pflegebedürftiger für den Differenzbetrag von 3.000 Euro aufkommen kann (die durchschnittliche ASVG-Pension beträgt in Österreich etwa 900 Euro netto). Und er soll es auch nicht, selbst wenn er könnte. Denn eine gute Versorgung im Fall der Pflegebedürftigkeit ist genuine Aufgabe des Sozialstaats ebenso wie bei Krankheit, Unfall oder Behinderung.

    Welche zusätzlichen Mittel bräuchte der Staat, um dies zu gewährleisten? Betrachtet man die Sozialabgaben der Pflegerinnen als "Durchlaufposten" (diese Kostenkomponente fließt ja dem Staat zu) und berücksichtigt man das schon jetzt ausbezahlte Pflegegeld von etwa 1.000 Euro, so ergeben sich zusätzliche Kosten von etwa 1.450 Euro pro Monat und Pflegebedürftigem (weit weniger, als wenn die zu Hause Betreuten in "Seniorenheimen" gepflegt werden müssten).

    Finanzierungsbedarf von 870 Millionen Euro

    Geht man davon aus, dass zumindest jene etwa 50.000 Menschen, welche Pflegegeld der Stufen 5 bis 7 beziehen (der Betreuungsbedarf übersteigt in diesen Fällen 180 Stunden pro Monat), eine sozialstaatlich gestaltete Bartenstein-Lösung brauchen, so ergibt sich ein Finanzierungsbedarf von 870 Millionen Euro.

    Eine insgesamt so wohlhabende Gesellschaft wie die österreichische kann sich das leisten. Allerdings ist der Wohlstand immer ungleicher verteilt, nicht zuletzt deshalb, weil in Österreich die sehr Vermögenden steuerlich besser gestellt sind als in den anderen EU-Ländern. Wenn daher jene, denen es wirtschaftlich am besten geht, etwas höhere Beiträge für jene leisteten, die diese am meisten brauchen, so würde dies auch die gesellschaftliche Kohärenz ein wenig stärken.

    Ich habe vor Kurzem an dieser Stelle gezeigt: Eine Reform der Vermögens- und Erbschaftssteuer, durch die nur etwa die reichsten 10 Prozent der Bürger/innen Beiträge leisten müssen (geringere als in den meisten anderen Industrieländern), erbrächte dem Sozialstaat Zusatzeinnahmen von fast vier Milliarden Euro. Damit ließe sich nicht nur die Pflege alter Menschen in ihrem eigenen Heim finanzieren; auch andere, dringend nötige Verbesserungen bei der Altenbetreuung (insbesondere hinsichtlich der pflegenden Angehörigen), aber auch bei der Armutsbekämpfung und der Milderung der Chancenungleichheit im Bildungswesen wären so finanzierbar.

    Eines ist klar: Ohne zusätzliche Finanzmittel kann der österreichische Sozialstaat diese Herausforderungen nicht bewältigen. Wer neue Steuern prinzipiell ablehnt oder eine niedrigere Staatsquote zum Selbstzweck erklärt, macht deutlich, welches Anliegen ihm die Milderung dieser sozialen Probleme ist. (Stephan Schulmeister, DER STANDARD, Printausgabe 12.2.2007)