Reihenhaus auf dem Linzer Pöstlingberg: Wo die Reichen und Schönen wohnen, vermutete niemand Zustände, wie sie vor einem Jahr entdeckt wurden

Foto: Habitzl
"Wir haben unser Menschenmöglichstes getan", nimmt Helmut Ilk, Bezirkshauptmann von Linz Urfahr, seine Sozialarbeiter in Schutz. Trotz deren Einsatzes gelang es einer ihrer Klientinnen, drei Kinder jahrelang mehr oder weniger in Gefangenschaft zu halten. Für die Sachwalterin der traumatisierten Mädchen, Margreth Tews, (siehe Interview ) hingegen habe die Untätigkeit der Behörden, vielmehr der Versuch einer Familientherapie, das Leid der Kinder von 2001 bis 2005 erst möglich gemacht.

Innerhalb von eineinhalb Jahren dürfte der oberösterreichischen Jugendwohlfahrt damit zum zweiten Mal ein schwer wiegender Fehler unterlaufen zu sein. Im Mai 2004 ließ in Steyr eine fanatische Mutter ihre 17-jährige Tochter verhungern. Seit 1995 war diese Familie von der Jugendwohlfahrt betreut worden. Den Tod des Mädchens konnte sie nicht verhindern.

Mit dem jetzt bekannt gewordenen Fall in Linz war die Jugendwohlfahrt auch schon seit mehreren Jahren betreut. Seit 2001 war amtsbekannt, dass die drei Mädchen massiv unter der kranken Mutter zu leiden hatten. Dennoch: Nicht nur Ilk verteidigt die Jugendwohlfahrt. Auch der zuständige Soziallandesrat Josef Ackerl (SPÖ) meinte zum Standard: "Ich will jetzt nicht auf die Sozialarbeiter hinhauen", die Situation sehe so aus, dass die Jugendwohlfahrt grundsätzlich gelindere Mittel anwende.

Zum Wohl des Kindes

Anders formuliert: Es muss immer zum Kindswohl gehandelt werden, und dies sei nun mal der Verbleib in der Familie. Kinder von den Eltern zu trennen sei der schlechteste und letzte Weg. Weshalb die Behörden besagtes gelinderes Mittel, die Familientherapie, bevorzugen. Jene heute 53-jährige Mutter, eine Anwältin, habe sich wohl auch kooperativ gezeigt. Außerdem handelt es sich um eine angesehene Akademikerfamilie, wo derartige Zustände für undenkbar gehalten werden, meint der Landesrat. "Offensichtlich sind die Sozialarbeiter einer Fehleinschätzung aufgesessen", gibt er letztendlich doch zu. Eine falsche Beurteilung der Situation seitens der Behörden hatte im Fall Steyr zur Verurteilung des zuständigen Sozialarbeiters geführt.

Fehlendes Personal und Geld macht Ackerl mitverantwortlich dafür, dass häufig nicht genug Zeit bleibe, um sich intensiv mit jedem einzelnen Klienten auseinanderzusetzen. Ein Argument dem zwar auch die Sachwalterin generell zustimmen kann, im aktuellen Fall jedoch nicht. Hinweise - nicht nur aus der Bevölkerung - für Gefahr im Verzug habe es viele gegeben.

Besser vernetzen

Um die Brisanz einer Situation schneller erfassen zu können, müsse auch eine bessere Vernetzung mit der Schulaufsicht erfolgen , sagt Ackerl. Bis Meldungen an die Jugendwohlfahrt über das Fehlen von Schülern eintreffen, verginge viel zu viel Zeit, will er den oberösterreichischen Landesschulratspräsidenten Fritz Enzenhofer (ÖVP) nicht aus der Pflicht entlassen. Ackerls Büro kannte Fall bisher nicht. Lediglich über den Streit zwischen dem Vater (Richter am Oberlandesgericht) und der Jugendwohlfahrt wegen der Kostenübernahme für die seit einem Jahr laufende Therapie für die traumatisierten Mädchen, sei man informiert. (Kerstin Scheller, DER STANDARD print, 12.2.2007)