Derzeit ist eine rege Koalitionsdebatte über das zukünftige Pflegemodell im Gange. Hintergrund ist das seit Ende 2006 gültige Pflege-Übergangsgesetz – in der Öffentlichkeit auch als "Amnestiegesetz" bekannt. Dadurch werden bis zum 30. Juni 2007 Strafen, die Arbeitgebern in privaten Haushalten bei der Beschäftigung von Pflegekräften drohen, vorübergehend außer Kraft gesetzt. Die von Kritikern als "Husch-Pfusch-Aktion" bezeichnete Regelung lässt wesentliche Fragen ungeklärt (z. B. keine Amnestie bei Nichtabfuhr der Lohnsteuer) und ist darüber hinaus verfassungsrechtlich bedenklich:

Voraussetzung für die Anwendung des Gesetzes ist, dass die zu pflegende Person Pflegegeld ab der Stufe 3 (nach Bundespflegegeldgesetz) erhält. Darin liegt ein – Angehörigen Demenzkranker aus leidvoller Erfahrung bekannter – problematischer Bereich. Ein Großteil der Demenzkranken, die eine 24-Stunden-Betreuung benötigen, fallen unverständlicherweise (wohl wegen unzureichender Erforschung unterschiedlicher Demenzformen) oft nicht unter die erforderlichen Pflegestufen. Deren Pflege wird somit nicht durch die "Amnestieregelung" erfasst.

Von einer Straffreiheit im Pflegebereich kann auch deshalb nicht gesprochen werden, da die Bestimmung zwar vor Ahndung von Verwaltungsübertretungen, nicht jedoch vor Ahndung von Finanzvergehen schützt: Die Finanzbehörden haben Finanzvergehen von Amts wegen zu verfolgen. Ob die Finanzstrafbehörde vom Absehen einer Strafe aus mangelnder Strafwürdigkeit der Tat gemäß § 25 Finanzstrafgesetz regelmäßig Gebrauch machen wird, bleibt abzuwarten; es kann auch nicht Sinn einer gesetzlichen Strafbestimmung sein, dass der Gesetzgeber erwartet, die grundsätzlich als strafbar qualifizierte Handlung solle grundsätzlich – aber erst auf Ebene der Vollziehung – trotzdem nicht als „strafwürdig“ betrachtet werden. Die Amnestieregelung ist überhaupt im Hinblick auf den im Verfassungsrang stehenden Gleichheitsgrundsatz (Art 7 B-VG, Art 2 StGG) hochproblematisch. Dessen Bindungswirkung erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes nicht nur auf die Vollziehung, sondern auch auf die Gesetzgebung. Der Gesetzgeber ist somit verfassungsrechtlich verpflichtet, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (Verbot sachlich nicht gerechtfertigter Differenzierungen).

Ungleichbehandlung

Nach Auffassung des VfGH liegt eine sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierung dann vor, wenn Personen, die sich rechtswidrig verhalten haben, gegenüber solchen, die sich rechtskonform verhalten haben, bevorzugt werden. In einer Entscheidung aus dem Jahr 1999 (G 132/98) hob der VfGH daher etwa die Bestimmung der NÖ-Bauordnung, die eine Amnestie für Schwarzbauten vorsah, infolge gleichheitswidriger Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises auf.

Die Regelung des Pflege-Übergangsgesetzes ist ähnlich zu sehen: Die Entkriminalisierung jener Personen, die illegal Pflegepersonal beschäftigt haben, führt zur Besserstellung gegenüber jenen, die sich gesetzeskonform verhalten und legal Pflegepersonal beschäftigt haben. Die Privilegierung des rechtswidrig handelnden Personenkreises könnte vom Verfassungsgerichtshof als gleichheitswidrig angesehen und aufgehoben werden. Verfassungsänderung

Es bleibt daher zu hoffen, dass die dringend erforderliche Reform des Pflegesystems rasch angegangen und die unbefriedigende Übergangsregelung nicht, wie zu befürchten, durch eine weitere Übergangsregelung über den 30. Juni 2007 hinaus ausgedehnt wird. Für eine effiziente, umfassende Reform wäre eine Verfassungsänderung wünschenswert, da die derzeit bestehende Kompetenzverteilung (Zuständigkeit des Bundes für die Auszahlung des Pflegegeldes, Zuständigkeit der Länder für stationäre Einrichtungen und mobile Dienste) zu einer weiteren Verkomplizierung führt.

Die jüngsten Vorschläge laufen nicht in diese Richtung: Denn die Beseitigung von bestimmten arbeitsrechtlichen Schutzvorschriften – wie sie derzeit diskutiert wird – kann schon im Ansatz kein Mittel sein, um die Frage der Rechtmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit der Beschäftigung von (vor allem ausländischem) Pflegepersonal zu lösen.

Es kommt daher nicht von ungefähr, wenn diese Überlegung als "Schaffung von 24-Stunden-Pflegesklaven" für finanziell Begünstigte bezeichnet wird; denn die bloße Verbilligung der Arbeitskraft – von der man nebenbei auch noch eine Verschlechterung der Arbeitsqualität erwarten darf – kann von vornherein eine gleichheitswidrige und damit verfassungswidrige Teilprivilegierung strafbaren Verhaltens nicht sanieren. (Michael Hecht, Wolfram Schachinger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 13.2.2007)