Der österreichische Teilchenphysiker Meinhard Regler hofft, dass das Nachstellen des Urknalls im Kernforschungszentrum Cern auch Hinweise auf die "Dunkle Materie" geben könnte. Gottfried Derka sprach mit ihm.

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STANDARD: Ende des Jahres beginnt im europäischen Kernforschungszentrum Cern an der schweizerisch-französischen Grenze das bisher größte Experiment der Wissenschaftsgeschichte. Was genau soll dort passieren?

Regler: Es wird nach Teilchen gesucht, die unmittelbar nach dem Urknall existiert haben, die so genannten Higgs-Bosonen. Die sind sehr kurzlebig, sie sind kurz nach dem Urknall zerfallen und ausgestorben. Jetzt sollen sie wieder zum Leben erweckt werden. Dazu soll der Teilchenbeschleuniger am Cern kleine "Urknalle" herstellen.

STANDARD: Und die Detektoren am Cern können die Higgs- Bosonen dann direkt nachweisen?

Regler: Nein, die sind nur genau auf Distanzen von einem Millionstel Meter. Higgs-Bosonen zerfallen aber bereits nach viel kürzeren Wegstrecken, diese "Exoten" sind einfach extrem kurzlebig. Aber sie bilden Reaktionsprodukte - das sind "anständige" Teilchen mit Masse und Ladung, also allem was dazugehört. Die können wir beobachten, und daraus können wir auf die Existenz der tatsächlich gesuchten Teilchen schließen.

STANDARD: Warum ist der Nachweis dieser Teilchen so wichtig?

Regler: Weil sie vermutlich dafür verantwortlich sind, dass Materie überhaupt eine Masse hat. Das Experiment in Cern könnte uns auch Hinweise auf die "Dunkle Materie" bringen. Wir wissen, dass das Universum zu 95 Prozent aus dieser Materie besteht, aber im Labor konnten wir sie bisher nicht messen.

STANDARD: Das Experiment soll zehn bis zwölf Jahre lang laufen. Was, wenn das Gesuchte Higgs-Teilchen aber schon am dritten Tag nach Start des Versuchs nachgewiesen wird?

Regler: Das ist auszuschließen. Wir brauchen eine Milliarde Stöße pro Sekunde, damit wir pro Jahr vielleicht zehn interessante Resultate bekommen.

STANDARD: Worin liegt die Herausforderung?

Regler: Bei jedem Stoß werden rund hundert Reaktionsprodukte frei - die müssen wirklich höchst genau vermessen werden. Das ist schon eine enorme Aufgabe für die Datenverarbeitung.

STANDARD: Sie haben vor 30 Jahren die Vienna Conference on Instrumentation ins Leben gerufen, in der sich Experten aus aller Welt vor allem über Teilchendetektoren austauschen. Jetzt, kurz bevor im Cern die Messungen beginnen, werden besonders viele Wissenschafter erwartet. Warum?

Regler: Weil alle auf den Startschuss lauern. Die ganze Szene wird von diesem Experiment beherrscht - wenn es startet, wird dieses Forschungsfeld explodieren. (DER STANDARD, Printausgabe, 14. Februar 2007)