Wien - "Wir sind unseren Eltern mit Immigrationshintergrund dankbar, aber wir wollen dieses Kapitel, wo man sich über den ethnischen Hintergrund definiert hat, abschließen. Ich fühle mich als Mensch immer als Österreicher, allerdings mit islamischer Identität".

Farid Hafez ist Politologiestudent aus Ried im Innkreis, seine Mutter Österreicherin, sein Vater Ägypter. Er ist Gründungsmitglied der "Muslimischen Jugend Österreichs", sozusagen der Jugendorganisation der offiziellen "Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich". Die Gruppe wurde gegründet, um das ethnische Prinzip aufzubrechen - "die einen sitzen im arabischen Verein und schauen Al-Jazeera, die anderen im türkischen und schauen türkisches TV". Die Gruppe unternimmt Reisen, Zeltcamps, ist humanitär tätig. "Wir haben Camps auch mit Mädchen, bei uns gibt es keine parallelen Strukturen für Frauen, aber wir beten fünf Mal am Tag - wer will." Die Mitglieder sind "alles Schüler und Studenten". Ziel der Vereinigung ist es, Jugendliche von der Radikalisierung abzuhalten. Farid Hafez: " Wir sagen: 'Wir sind in Österreich, hier haben wir die Verantwortung, jammert nicht über das, was in Palästina geschieht." Fazit: "Wir wollen einfach mit unserer muslimischen Identität als normaler Teil Österreichs wahrgenommen werden."

"Dann wird es schwierig"

Tülag Öztürk (33) arbeitet in der Kantine der Wiener Wirtschaftsuni. Sie kam mit 16 aus Ankara, heiratete mit 19 und hat zwei Töchter. "Bei uns müssen sie bis zur Hochzeit zu Hause bleiben, wenn sie ausziehen wollen, müssen wir darüber reden. Dann wird es schwierig." Religion nimmt einen wichtigen Stellenwert in ihrem Leben ein. Nicht umsonst bezeichnet sie sich in erster Linie als Muslimin, erst in zweiter als Türkin, deren Heimat Österreich ist. Nur in der Moschee müssen die Töchter das Kopftuch tragen. Gegen gemeinsames Schwimmen mit Buben hat sie nichts einzuwenden, und am Skikurs können ihre Töchter auch teilnehmen.

Bei der Partnerwahl ist sie strenger. Sex vor der Ehe gibt es nicht. "Wenn meine Tochter heiraten will, soll sie uns den Mann vorstellen und dann heiraten, aber nicht vorher mit ihm zusammenleben."

Ünal ist Installateurlehrling. Der Islam bedeutet für ihn, dass er kein Schweinefleisch isst, fastet, keinen Alkohol trinkt und gelegentlich in die Moschee geht. Der Installateurlehrling in Jeans, blauem Collegepullover und den gegelten schwarzen Haaren spricht leise und wirkt schüchtern. In die Disco geht der 19-Jährige nicht, lieber spielt er Fußball mit seinen Freunden. Er könnte öfter in die Moschee gehen, aber für so gläubig hält er sich dann doch nicht. Wenn er später heiraten sollte, will er unbedingt eine Jungfrau zur Braut nehmen. "Mir ist das schon wichtig. Ich will nicht, dass sie mit anderen Männer geschlafen hat und mich heiratet. Wenn sie es doch gemacht hat, kann man auch nichts machen." Ünal selbst hatte schon einige Freundinnen gehabt. Das steht für ihn nicht im Widerspruch zum Islam. Seine Freundinnen waren bisher Österreicherinnen und Bosnierinnen. Bei Türkinnen "gibt es nur Probleme mit der Familie, und wenn sie dann Brüder hat ...". Heiraten will er aber schon eine Muslimin. Ein Kopftuch muss sie nicht tragen.

Ünal hat das Gefühl, dass Muslime weltweit ständig angegriffen werden und man sich über sie lustig macht. Ob Türkei-Beitrittsdebatte, Libanonkrieg oder Mohammed-Karikaturen: Muslime sieht er als Opfer. "Sie sagen nichts und bleiben still."

Gülsen Sölzen, 27, kommt aus der alevitischen Gemeinschaft, die sich aus der Schia entwickelt hat und in der Türkei relativ verbreitet ist. Ihre Anhänger fassen die Gebote des Islam sehr liberal auf: "Bei uns wird auch gebetet, aber nicht fünfmal am Tag. Bei uns trägt keiner ein Kopftuch, man fastet auch im Ramadan nicht. Wir treffen uns jeden Freitag im alevitischen Verein und dann reden wir über Vieles, auch über den Glauben." Im islamischen Religionsunterricht als Kind habe sie "viel Negatives über die Aleviten gehört" und sei dann nicht mehr hingegangen: "Wir waren in der Türkei eine Minderheit und verfolgt." Was Österreich betrifft: "Jeder sollte sich anpassen, wo er lebt. Die Älteren können oft die Sprache nicht, aber so kommt man nie weiter. Ich würde meine Kultur nie aufgeben, aber man muss sich anpassen. Es ist gut, wenn ein Kind etwas religiöses Wissen hat, aber ich würde mein Kind nie zwingen." (Hans Rauscher, Solmaz Khorsand, Louise Beltzung/DER STANDARD, Printausgabe, 14.2.2007)