Mit TissueQuest dargestelltes Prostatagewebe: oben gesund, unten tumorös. Das jeweilige Punktediagramm daneben ist der von der Software erstellte Darstellungsmodus, der Ärzten über das Bild hinaus ähnlich wie ein Blutbild Auskunft über den Zustand eines Gewebes gibt.

Foto: DER STANDARD/TissueGnostics
Der digitale Werkzeugkasten des österreichischen Unternehmens TissueGnostics macht Gewebeanalysen präziser als jemals zuvor. Ärzte sollen damit mehr sehen und so Krankheiten wie um Beispiel das Prostatakarzinom besser einschätzen können.

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Die Labore dieser Welt gleichen einander. Klinisch-sauberes Ambiente, Mikroskope, dazwischen Bildschirme, vor denen Menschen in weißen Mänteln sitzen, die verstehen, was sich auf molekularer Ebene in unseren Körpern abspielt. Im Grunde deuten sie Bilder, auf denen Punkte versammelt sind. Ein Punkt steht für eine Zelle. Zellen gibt es viele, und je nachdem, in welcher Kombination sich die Pünktchen auf dem Bild präsentieren, lässt sich feststellen, was gesund, innerhalb der Norm oder schon krank ist.

Für die Befundung von Prostatakarzinomen und die Entscheidung, ob bei Verdacht operiert werden muss, braucht ein Pathologe viel Erfahrung, um nach einer Biopsie eine Aussage zur Gefährlichkeit oder eben Unbedenklichkeit dort gefundener Zellen treffen zu können. "Unsere Idee ist es, zusätzlich zum pathologischen Blick eines Arztes den Computer Zellmaterial erkennen und selbstständig Analysen durchführen zu lassen", erklärt Georg Steiner, Mitbegründer von Tissue Gnostics, einem Unternehmen, das mit den Mitteln des 21. Jahrhunderts die Diagnostik vorantreiben will.

Digitale Laborbilder sind die Grundlage dafür. Ein Computerprogramm wertet aus, was darauf zu sehen ist, und mittels selbst entwickelter Algorithmen (Anm.: genaue Abfolge von Rechenschritten) wird dann ermittelt, was von verschiedenen Zellkonstellationen auf einem Bild zu halten ist. "Ein digitales Bild ist immer die Summe aus verschiedenen Ebenen und lässt sich in Layer aufsplitten. Auf diese Weise kann ein und dasselbe Bild unterschiedlich dargestellt werden", sagt Steiner.

Sichtweise wählen

Auf den Fokus des Forschers kommt es an. So kann die Färbung einer Biopsie mit mehreren Markern etwa nach Prostatakarzinomverdacht zur Unterscheidung von entarteten Zellen maßgeblich beitragen. Mit dem Programm TissueQuest lassen sich neun verschiedene Marker - das sind Eiweiße, die auf Krebs hinweisen - sichtbar machen, "ein Arzt kann also neun Kriterien mehr überprüfen", erklärt Steiner. Was er noch sagt: "Wir wissen, dass die räumliche Nähe von Zellen, also die Tatsache, welche Zelle sich neben einer anderen befindet, für eine konkrete Aussage ganz entscheidend ist - unser Werkzeuge4t kann das darstellen." Woraus es besteht? Aus Mikroskop, Kameras, PC, zwei Bildschirmen und einer patentierten Software, die Tissue Gnostics und seine 16 Mitarbeiter projektabhängig weiterentwickeln.

Das 2003 gegründete, vom Wiener Wirtschaftsförderungsfonds und der Förderbank Austria Wirtschaftsservice AWS geförderte Biotech-Unternehmen hat für den weltweiten Vertrieb seines Werkzeugsets von der IPO Wachstumsfonds Beteiligungs-Management GmbH nun Kapital bekommen. Jetzt geht es darum, Wissenschafter für die neuartig differenzierten Sicht auf die Zelle zu interessieren. Mit Referenzprojekten will man auf Messen und Kongressen überzeugen. Aber es sind die Forscher, die es wollen und nutzen lernen müssen.

"Moderne Pathologie kann so spannend sein wie eine Reise zu einem anderen Stern", steht in der Firmenbroschüre. Für Steiner ist das nicht nur ein schöner Satz, sondern Lebensinhalt. Er hat die Laborarbeit von der Pike auf gelernt, als Wissenschafter bei Georg Stingl an der Wiener Hautklinik schon in den 80er-Jahren mit den ersten monoklonalen Antikörpern experimentiert und seine Zellbeobachtung bei Michael Marberger als Laborleiter auf der Urologie fortgesetzt.

Bessere Vorhersagen

Nach 23 Jahren an der labortechnischen Basis hat er sich selbstständig gemacht, zusammen mit Rupert Ecker und Katja Österreicher, die er - wen wundert's - im Labor kennen gelernt hatte. Was ein Erfolg der neuen Sicht auf die Zellen wäre, erklärt er an einem Beispiel: Nach einer Biopsie wegen Prostatakarzinomverdacht können mit TissueQuest bessere Vorhersagen hinsichtlich der Bösartigkeit aller insgesamt dort gefundenen Zellen und ihrer Wechselwirkungen untereinander gemacht werden.

Die Arbeit erledigt der PC, die Pathologen haben zusätzliche Evidenz, und davon profitieren sollen die Patienten, deren Krankengeschichten in Labors entschieden werden . (Karin Pollack/DER STANDARD, Printausgabe, 14. Februar 2007)