Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen leisten im Matam-Gesundheitszentrum in Guinea medizinische Nothilfe. Seit dem Wochenende wurden dort hunderte Menschen behandelt, die beim Militäreinsatz gegen Demonstrationen verletzt wurden.

Foto: MSF - Corinne Grafl

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Lansana Conte auf einem Archivbild aus dem Jahr 2005. Der Präsident, der seit 23 Jahren an der Macht ist, weigert sich trotz seiner angeschlagenen Gesundheit, den Rücktrittsaufforderungen nachzukommen.

Foto: Reuters/George Esiri
Seit der Ausrufung des Notstands am Montag ist es der Armee Guineas gelungen, zumindest die Hauptstadt Conakry unter ihre Kontrolle zu bringen. Die Opposition, die auf einem Rücktritt Präsident Lansana Contes besteht, ruft aber zu neuen Protesten auf. Seit dem Wochenende wurden beim Militäreinsatz gegen Demonstrationen über 40 Menschen getötet.

Der Einsatzleiter von Ärzte ohne Grenzen in Guinea, Sergio Martin, berichtet im Interview mit Berthold Eder über die Hintergründe der Proteste und die Schwierigkeiten, unter denen Hilfsorganisationen angesichts der Eskalation leiden.

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derStandard.at: BBC berichtet, dass Aufständische drohen, Stadtteile, die sich nicht am Generalstreik beteiligen, anzugreifen. Wer ist die größere Gefahr für ausländische Helfer: Das Militär, das seit der Ausrufung des Kriegsrechts faktisch die Macht im Land übernommen hat, oder die Demonstranten?

Sergio Martin: Wir fühlen uns hier in unserem Gesundheitszentrum nicht wirklich gefährdet. Seit den Großdemonstrationen am Wochenende hat sich die Lage erheblich beruhigt. Viel schlimmer ist die Situation unserer 1.200 HIV-Patienten, die wegen der Ausgangssperre ihre lebensnotwendigen Medikamente nicht abholen können.

Die Kollegen vom guineischen Roten Kreuz, die den Großteil der Verletzten von den Demonstrationen ins Spital bringen, setzen sich da viel größeren Risken aus, machen aber ihren Job großartig.

derStandard.at: Für den heutigen Mittwoch ist eine weitere Großdemonstration in der Hauptstadt Conakry angekündigt. Ist davon etwas zu bemerken?

Martin: Es fällt schwer, angesichts der andauernd zirkulierenden Gerüchte die Ernsthaftigkeit solcher Meldungen einzuschätzen. Gehört habe ich davon, und es ist sicher möglich, dass es durch die Lockerung der Ausgangssperre zu Ausschreitungen kommt. Die Patienten, die heute im Spital angekommen sind, wurden bei den Demonstrationen gestern und vorgestern verwundet.

Es ist derzeit fast unmöglich, an vertrauenswürdige Informationen zu gelangen – unsere örtlichen Kontakte, die da normalerweise mehr wissen, können wir wegen der Ausgangssperre nicht erreichen. Angesichts der Unzufriedenheit, die in der Bevölkerung herrscht, ist aber jederzeit mit einer Eskalation zu rechnen.

derStandard.at: Augenzeugen wollen an Straßensperren Soldaten in ungewöhnlichen Uniformen gesehen haben. Es soll sich um Kämpfer aus dem Nachbarland Liberia handeln, die Präsident Conte zu Hilfe gerufen hat. Können Sie das bestätigen?

Martin: Dieses Gerücht zirkuliert seit über einer Woche, ja. Auch Englisch sprechende Soldaten sollen an der Niederschlagung der Proteste beteiligt gewesen sein, hört man. Offiziell bestätigt wird so etwas natürlich nie werden.

derStandard.at: Kann sich Präsident Conte auf die Unterstützung des Militär verlassen? 1996 wurde er nach Demonstrationen für eine Solderhöhung mehrere Stunden als Geisel genommen.

Martin: Schwer zu sagen. Mir ist aufgefallen, dass der Präsident in seinen letzten öffentlichen Auftritten das Militär mehrmals aufgerufen hat, sich geschlossen hinter ihn zu stellen. Auch hat er in den vergangenen Tagen außergewöhnlich viele Offiziere befördert – wohl um sich ihrer Unterstützung zu versichern.

Der Staatschef hat selber aus eine Militärlaufbahn absolviert und nach dem Soldatenaufstand damals Maßnahmen getroffen, die eine Wiederholung der Ereignisse von 1996 ausschließen sollen. Es gibt auch derzeit bei den Streitkräften keine prominenten Gegner Contes, die einen Aufstand des Militärs anführen könnten.

derStandard.at: Der US-Aluminiumkonzern Alcoa hat bekanntgegeben, dass die Produktion wegen des Generalstreiks zum Stillstand gekommen ist, die USA haben ein Militärflugzeug entsendet, um Zivilisten auszufliegen. Wie ist die Stimmung unter den Ausländern in Guinea?

Martin: Die Proteste richten sich nicht gegen uns Ausländer, wir fühlen uns nicht gefährdet. Das größte Problem ist die Ausgangssperre, die es erschwert, zur Arbeit zu gelangen. Für uns als Hilfsorganisation ist es etwas leichter, aber viele Diplomaten und Geschäftsleute sitzen zu Hause fest.

Mittlerweile wurde einige Familien evakuiert wurden, für die die Situation besonders schwierig ist – es sind ja auch alle Schulen geschlossen.

derStandard.at: Beschränkt sich der Konsens innerhalb der Opposition auf die Forderung nach Contes Rücktritt oder sind weitere Forderungen bekannt?

Martin: An den Protesten beteiligen sich die unterschiedlichsten Gruppierungen: Gewerkschafter, Sektoren der Zivilgesellschaft … der Wunsch, dass der Präsident das Land verlässt, eint sie. Was diese verschiedenen Gruppierungen machen werden, wenn sich ihr Wunsch erfüllt, kann ich nicht sagen. (derStandard.at, 14.2.2005)