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Uschi Obermaier und ihr "wildes Leben" sehen gegen die Selbstvermarktung von Paris Hilton fast schon wieder arm aus

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Isolde Charim: "Paris Hilton ist niemandes Groupie mehr. Sie ist nur noch das Groupie ihrer selbst. Sie fasziniert (oder stößt ab), weil sie ein geschlossener Kreislauf ist und sich schamlos auch als solcher präsentiert."

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Hilton führt uns die Art vor, wie wir heute genießen

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Der Opernball erlebt heute mit Stargast Paris Hilton seine wahre Subversion. Anmerkungen über ein Partygirl, das eine lange Tradition des Genusses auf die Spitze getrieben hat – von Isolde Charim*

Die erotische Galionsfigur der 68er ist wieder aufgetaucht: Nach langer Abwesenheit ist Uschi Obermaier mit der Verfilmung ihrer Lebensgeschichte ins Blickfeld der Öffentlichkeit zurückgekehrt. Sie war in den 70er-Jahren die Repräsentantin eines neuen Frauentypus: des Groupies. Dieser ist nicht auf Jugendbewegung und Revolte beschränkt, denn man trifft sie noch heute – wenn auch stark modifiziert. Etwa in der Figur der Paris Hilton, die unbeleckt von jeder Gegenkultur auf dem Terrain wandelt, das Obermaier vorbereitet hat.

Körper und Exzesse

So traurig es klingen mag: Paris Hilton ist die Uschi Obermaier unserer Zeit. Gemeinsam ist ihnen die Berühmtheit durch Exhibitionismus, sowohl den ihres Körpers als auch den ihrer Exzesse. Uschi Obermaier war 1970 das erste Nacktcover des Stern, während Paris Hilton uns teilhaben lässt an Auftritten ohne Unterwäsche.

Veröffentlichung ihrer Sexualleben

Eine weitere Parallele ist die Veröffentlichung ihrer Sexualleben: Von der einen wissen wir jedes Detail ihrer erotischen Begegnungen – wo und mit wem, von Mick Jagger bis Jimi Hendrix. Allerdings beschränkt sich diese Kenntnis – zumindest bis zum Film – auf ihre Erzählung. Während man es bei der anderen hautnah vorgeführt bekommt – per Mausklick ist man dabei. Beide sind durch ihre Zurschaustellung – mit den jeweiligen technischen Mitteln ihrer Zeit – zu einer eigenen Figur bzw. Marke geworden.

Emanzipation der Frau als Frau

Darin stehen sie durchaus in einer Tradition, die man als Emanzipation der Frau als Frau bezeichnen könnte. Im Unterschied zur Emanzipation der Frau als Mann, also dem, was man landläufig unter Emanzipation versteht, wo Frauen in Berufe und Domänen der Männer vordringen und sich dort Positionen und Rechte erkämpfen, im Unterschied dazu also gibt es auch eine längere und ältere Geschichte der Emanzipation der Frau als Frau – von der Salondame bis zur Femme fatale.

Nackttänzerin und Morphinistin

Diese Geschichte erfährt einen deutlichen Höhepunkt in den 20er-Jahren in Figuren wie Anita Berber, die als Nackttänzerin und Morphinistin Karriere machte. Dies bedeutet nicht einfach, einer gewissen Form von Prostitution bürgerliche Anerkennung zu verschaffen, sondern vor allem die Rolle der Frau nicht als Objekt, das begehrt wird, sondern als Subjekt, das auswählt, als Herrin über den eigenen Genuss anzulegen. Obermaier und Hilton haben beide – jede auf ihre Art – diese Tradition weitergeschrieben zu dem, was man die Emanzipation der Frau als Groupie nennen könnte: Sie sind die Groupies der Emanzipation.

Subjekt des Genießens

Und das bedeutet eben: Sie mutieren vom Objekt des Begehrens zum Subjekt des Genießens. Sie sind nicht mehr einfach jene Frauen, die kollektiv begehrt werden. Sie sind – und das ist der springende Punkt – jene, die durch ihr öffentliches Drogen- und Sexualleben für uns genießen. Sie leben den Exzess stellvertretend für uns, die wir unseren Alltag bewältigen müssen.

An diesem Punkt muss man jedoch festhalten, dass das, was den Vergleich zwischen den beiden wirklich interessant macht, das ist, was sie unterscheidet. Sie sind die Groupies ihrer Zeit und jede Zeit hat – könnte man sagen – das Groupie, das sie verdient.

Uschi Obermaier Für Uschi Obermaier symptomatisch ist jene Szene, die sie in einem Interview ausführlich erzählte. Sie steht mit Keith Richards in einem Hotelzimmer in Berlin. Dieser hat einen Arm um sie gelegt, mit dem anderen hält er einen Ghettoblaster mit lauter Musik auf seiner Schulter fest und vor dem Hotel steht eine Menge kreischender Mädchen, die sich die Kleider vom Leib reißen. Keith Richards habe dies, so Obermaier, kalt gelassen.

Sie blickt auf ihn

Hier wiederholt sich nicht nur das klassische kunsthistorische Motiv, bei dem die Frau auf den Mann blickt, während dieser in die Welt schaut (wobei sich die Welt dem Rockstar als hysterische Mädchenmasse präsentiert) – es zeigt sich auch, dass Obermaier das Ur-Groupie ist, jene Auserwählte, die die Gattung Groupie nunmehr darstellt. Sie nimmt – das ist wohl ihre größte Leistung – diese Herausforderung an und verlässt den Rolling Stone hin zu anderen Gefilden – auch wenn diese nur den nächsten Macho bedeuten.

Wildes Leben

"Das wilde Leben" (so der Titel ihrer Memoiren), diese Chimäre, der alle nachjagten – Obermaier tut so, als hätte sie es gefunden und gelebt. Und das ist es, was man ihr geglaubt hat, damals: Ja, sie hat es gelebt – unser wildes Leben. Auch wenn sich dieses letztlich auf Sex und Drogen reduziert, was für ein ganzes Leben vielleicht doch etwas dürftig ist und das Rebellische an diesem Hedonismus letztlich vor allem die Schamlosigkeit war, mit der man nichts tat.

Werbeangebot abgelehnt

Ein Sinnbild für die Fülle des Lebens, die man damals suchte, ist jene Episode, wo Obermaier ein gut dotiertes Werbeangebot für einen Deospray ablehnte, weil sie selber kein Deo benützt. Das ist nicht so sehr als antikapitalistische Geste symptomatisch wie als Beharren auf seinem Geruch als körperlicher Manifestation, als sinnlicher Präsenz.

Leere Tabubrüche

Und Paris Hilton? Kann man sich vorstellen, dass diese Frau nach etwas riecht? Gibt es Öderes als die unbehosten Einblicke, die sie uns aufdrängt? Warum erscheinen diese Tabubrüche so leer? Weil – in Abwandlung von Brecht – alle Exzesse bereits aufgebraucht sind? All dies erklärt zwar den faden Geschmack, den Hiltons Berühmtheit beim Publikum über 16 hinterlässt, aber es erklärt nicht ihre Berühmtheit. Die Aufmerksamkeit sichert Hilton sich auf ganz andere Weise. Sie führt uns die Art, wie wir heute genießen, vor.

Berühmtsein als Beruf

Hilton sagt es selbst: Am Aufregendsten sei für sie das Vorher: Dinge, Schmuck, Kleider aussuchen – sich schön machen. Wir wissen: Berühmtsein ist ihr Beruf, Spaß ihre Arbeit, aber der Genuss liegt in diesem Moment reiner Selbstbezüglichkeit, des vollen Narzissmus. Sie mag eine künstliche Figur sein, die Warhol gefallen hätte, wie ein Starfotograf meinte. Das Künstliche daran ist aber diese ungebremste Selbstliebe, bei der alle Dinge zu Fetischen werden, um sich selbst voll genießen zu können.

Geld heckendes Geld

Hilton ist niemandes Groupie mehr. Sie ist das Groupie ihrer selbst. Sie fasziniert (oder stößt ab), weil sie ein geschlossener Kreislauf ist und sich schamlos als solcher präsentiert. Darin entspricht sie als Figur auch dem, was ihre ökonomische Situation ausmacht. Geld heckendes Geld nannte Marx solch einen geschlossenen Kreislauf, wo Geld wieder sich selbst, also Geld hervorbringt. Die Substanzlosigkeit, die man ihr vorwirft, ist das, wovon sie im doppelten Sinne lebt. Hilton hat daraus ein großes Unternehmen gemacht, die Paris Hilton Entertainment Corporation, die Millionengewinne mit Dingen wie Hundegarderobe erwirtschaftet.

Verkrachte Schmuckdesignerin

Uschi Obermaier ist heute eine verkrachte Schmuckdesignerin, die einsam in einer amerikanischen Einöde lebt. Die euphorische Bemerkung ihres Drehbuchautors, sie habe sich nicht kaufen lassen, führt sie ad absurdum, indem sie heute ihre Rock-'n'-Roll-Geschichte zu Geld macht. Paris Hilton sitzt nicht nur auf ihrem Erbe, sondern hat dieses noch um einige Millionen angereichert. Sie hat die Emanzipation des Groupies mit dem Prinzip des Kapitalismus in Einklang gebracht. Der heutige Opernball aber, der früher traditionellerweise durch die ihn begleitende Demo herausgefordert wurde und letztlich als feudale Repräsentation durch diese negativ bestätigt wurde, der Opernball erlebt heuer die wahre Subversion: Hilton macht ihn zur Party! (DER STANDARD Printausgabe 15.2.2007)