Aus dem schwedischen Atomkraftwerk Forsmark ist in den vergangenen Jahren mehr Radioaktivität ausgetreten als bisher bekannt. Der Umweltminister befürchtet Mängel auch in anderen Meilern, der geplante Ausstieg aus der Atomenergie lässt aber auf sich warten - André Anwar aus Stockholm
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Kaum eine Woche vergeht ohne eine neue Skandalmeldung aus dem schwedischen Atomkraftwerk Forsmark. Am Mittwoch stellte sich heraus, dass aus dem ersten Reaktor drei Jahre lang deutlich mehr Radioaktivität entwichen ist als bisher bekannt war.

Schuld daran soll eine undichte Abdeckung sein. Durch sie konnten radioaktive Partikel austreten, die sonst in einem Filter aufgefangen worden wären, der zur Messung von Radioaktivität verwendet wird. Die radioaktive Emission sei dreimal höher als die offiziell gemessene, berichtet die schwedische Fachzeitschrift Ny Teknik. Der nationale Grenzwert sei jedoch nicht erreicht worden.

Dennoch nennt Lars Moberg, der Forschungschef der Kernenergiesicherheitsbehörde (SKI), diesen neuen Missstand beunruhigend: "Das große Problem für uns ist, dass dies so lange Zeit unentdeckt geblieben ist. Man hat ein undichtes System, und niemand bemerkt es", sagte er gestern.

Sicherheitsmängel

Umweltminister Andreas Carlgren sorgt sich nun auch über mögliche Sicherheitsmängel in anderen Atomkraftwerken. "Wenn die Verhältnisse in Forsmark von Mal zu Mal schlechter sind, als die Betreiber angegeben haben, muss man sich fragen, was für die anderen Kraftwerke gilt." Carlgren kündigte an, Experten der internationalen Atomenergiebehörde IAEA einzuladen. Sie sollen nicht nur Forsmark sondern auch die andern Reaktoren und die Sicherheitskultur in den schwedischen Atomkraftwerken generell überprüfen.

Bei dem 26 Jahre alten Siedewasserreaktor in Forsmark war es erst im Juli 2006 zu einem "Beinahe-Gau" gekommen. Zwei von vier Notstromgeneratoren für die Reaktorkühlung versagten nach einem Stromausfall. Nach der Panne mussten sofort vier der zehn Reaktoren des Landes stillgelegt und auf vergleichbare Baufehler überprüft werden.

"Unakzeptable Risiken"

In einem erst nach dem Unfall erstellten internen Sicherheitsbericht wird vor "unakzeptablen Risiken", dem "Verfall der Sicherheitskultur" und betrunkenen AKW-Arbeitern gewarnt. Kurz danach kamen weitere Mängel ans Licht. Deshalb steht der Reaktor seit Anfang Februar wieder still. Der Block 2 hat ebenfalls Betriebsverbot, Block 3 steht unter Beobachtung.

Der Betreiber Vattenfall räumt inzwischen Fehler ein. Mittlerweile wird auch die staatliche Kernkraftwerkbehörde kritisiert. Sie stecke mit Betreibern unter einer Decke, viele Probleme seien verschwiegen worden.

Jüngsten Umfragen zufolge sind 21 Prozent der Schweden skeptischer gegenüber Kernkraft als noch vor vier Jahren. Die Schweden hatten in einer Volksabstimmung 1979 beschlossen, schrittweise aus der Atomenergie auszusteigen. Doch dieser Ausstieg wurde in den 90er Jahren wieder in Frage gestellt. Heute sind zwei der einst zwölf Reaktoren abgeschaltet. Die im September gewählte bürgerliche Regierung hat nicht vor, weitere AKWs zu schließen. (DER STANDARD Printausgabe 15.2.2007)